Moskaus Propagandakrieg

Was wirklich in Tschetschenien passiert, versucht Moskau zu vertuschen, so gut es kann. Die Menschen dort sehen in dem neuen Krieg einen Völkermord  ■   Von Barbara Kerneck

Moskau (taz) – Was alles über den Krieg in Tschetschenien nicht in die Moskauer Zeitungen gelangt, erinnert fast an die Pressezensur zu Sowjetzeiten. Am Montag erklärte Premier Putin, zu den Fehlern des vorigen Tschetschenien-Krieges, die man diesmal nicht wiederholen werde, gehöre die Vernachlässigung von Propaganda und Gegenpropaganda.

So wurden Meldungen aus der tschetschenischen Hauptstadt, dass es am Montag etwa 40 Kilometer nördlich von Grosny zu einer Schlacht mit tschetschenischen Regierungstruppen gekommen sei, russischerseits als Gerüchte abgetan. Trotzdem mussten die Föderalen Verluste einräumen. Am 3. Oktober wurde ein SU-25-Militärflugzeug etwa 25 Kilometer nördlich von Grosny abgeschossen, am Montag eine SU-24. Täglich werden ein Dutzend russische Gefallene gemeldet. Dabei haben sich die auf tschetschenischem Territorium operierenden islamistischen Freischärler bisher zurückgehalten und verstecken sich im Süden des Landes.

Vorerst sind die Föderalen mit dem Ausbau einer „Sicherheitszone“ beschäftigt, die von den Grenzen aus einige Kilometer ins Innere des Landes hinein vorgeschoben wird. Kampfverbände, die sich innerhalb dieses Ringes befinden, sollen vernichtet werden. In der Zone hat man Antiterroreinheiten und Milizeinheiten konzentriert, die dort eine besondere Infrastruktur aufbauen sollen.

Im Fernsehen werden Dörfer gezeigt, in denen die Erntearbeiten weitergehen, weil ihre Dorfältesten sich angeblich verpflichtet hätten, den Islamisten selbst die Tür zu weisen. Russische Offiziere stellen Listen der Pensionäre dort auf und versprechen ihnen Renten.

Tschetscheniens Präsident Aslan Maschadow hielt am Wochenende in Grosny einen „Kongress des tschetschenischen Volkes“ ab. In der Abschlussresolution wird der Bevölkerung Dagestans Mitgefühl ausgedrückt, die unter von tschetschenischem Gebiet ausgehenden Kriegshandlungen zu leiden hatte. Ausländische Kongressbesucher bezeugen, dass von der „Gezieltheit“ der russischen Bombenschläge nichts zu bemerken ist. So ist in Grosny die Residenz des Terroristenführers Schamil Bassajews unbeschädigt, getroffen wurden dagegen eine Schule, Häuser und zwei Kliniken.

Die Einwohner verurteilten den Einfall der Banden in Dagestan. Nach Beginn des Krieges erblicken sie in den Rebellen aber eher Beschützer. Als Ziel der Russen nennen sie Völkermord. „Sie wollen uns ausrotten“, sagte eine Frau, deren Kind bei den letzten Bombardements umkam: „Um einen Anlass zu schaffen, haben sie die Bomben in Moskau selbst gelegt.“