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Die Machos vom Machu Picchu

Sieht so die Bestie aus? Werner Herzogs Dokumentation über Klaus Kinski, „Mein liebster Feind“, und Klaus Kinskis Selbstporträt als erotomaner „Kinski Paganini“ starten gemeinsam im Kino  ■   Von Harald Fricke

Meistens schreit er. 1971 endet im Berliner Sportpalast seine Version des Neuen Testaments in einem Aufruhr, bei dem Klaus Kinski ein paar studentische Flokatimäntel und Rollkragenpullis, die seine Sicht der Bibel stören, von der Bühne jagt. Dann geht er zurück ans Mikrofon und brüllt auf einige hundert Christen und Kinski-Fans herunter, dass Jesus niemals die andere Wange hingehalten, sondern „eine Peitsche genommen“ und dem anderen „in die Fresse gehauen“ hätte. Dabei hängen ihm die langen blonden Haare ins Gesicht, und sein zerfurchtes Äußeres hat tatsächlich etwas von einem Propheten.

Das Bild muss Werner Herzog gefallen haben. Ein Jahr später dreht der 28-jährige Filmemacher mit Kinski „Aguirre – der Zorn Gottes“. Mehr als das Bibel-Happening hat Herzog an Kinski aber beeindruckt, wie er in „Kinder, Mütter und ein General“ 1954 einen Deserteur erschießen lässt. Der 1926 geborene Kinski war damals so alt wie Herzog zu Beginn der Dreharbeiten von „Aguirre“.

Für allzu große Identifikation taugt das Zahlenspiel nicht, doch es hilft, will man Herzogs schillernde Dokumentation „Mein liebster Feind“ verstehen. Auf verschlungenen Pfaden erzählt Herzog von Kinski als dem Stellvertreter seines eigenen Lebens. So lebt der verarmte Jungschauspieler in den Fünfzigerjahren als poet maudit in einer Münchner Pension, in der auch Herzog mit Mutter und Brüdern untergekommen ist. Dort terrorisiert Kinski die Pensionswirtin, wenn sie seine Hemden nicht richtig bügelt, manchmal tritt er auch die Zimmertür ein. Der Teenager staunt derweil über den befreit Tobenden.

Anfang der Siebzigerjahre begegnet ihm Kinski als „ein Verlachter“ wieder, der mit seiner Jesus-Nummer nicht ernst genommen wird. In den kommenden fünf Filmen gehen die beiden Männer eine Produktionspaarung ein – neben „Aguirre“ ist Kinski in „Nosferatu“, „Woyzeck“, „Fitzcarraldo“ und „Cobra Verde“ der Hauptdarsteller. Der aufgescheucht dreinblickende Paranoiker passt in Herzogs Weltbild: Die Ohnmacht des Menschen im Angesicht der Natur und das erhabene Scheitern individueller Utopien spiegeln sich im Mienenspiel von Kinski wider. Er ist Herzogs verlängertes Ich bei der Bewältigung von Grenzsituationen – sei es in den Inka-Ruinen von Machu Picchu oder auf dem Raddampfer in den Fluten des Amazonas.

All diese Stilisierungen, die „Mein Liebster Feind“ mit Filmausschnitten unterlegt noch einmal vorführt, haben einen apokalyptischen Grundton. Kinskis Besessenheit vom totalen künstlerischen Ausdruck und Herzogs nietzscheanischer Schöpfungswille – dass der Mensch nicht anders denn ästhetisch zu ertragen sei – ergänzen sich mehr als gut. Nach dem Erfolg mit „Aguirre“ bekommt Kinski endlich andere Rollen als die der ewig geschundenen Edgar-Wallace-Kreatur; fortan wird ihn Herzog schinden. In „Fitzcarraldo“ möchten ihn die Amazonas-Indianer am Set umbringen, und in „Cobra Verde“ ertrinkt er fast, als er ein Ruderboot ins Meer ziehen will. In seiner Erinnerung hat ihn Herzog stets unter Kontrolle: Als Kinski droht, mitten in den Dreharbeiten auszusteigen, antwortet der Regisseur kühl, dass er ihn mit acht Kugeln erschießen würde und sich selbst mit der letzten. Und auf Kinskis Vorwurf „Du bist größenwahnsinnig geworden“ antwortet Herzog: „Dann sind wir eben zu zweit.“

Freilich profitiert auch Herzog vom schwierigen Charakter seines Stars, den kaum ein anderer beschäftigen mag. Außer bei Billy Wilder (als schräger Psychiater in Buddy Buddy“) bleiben für Kinski nur Trashfilme wie Jess Francos „Jack The Ripper“ oder erotische Filmkunst à la „Früchte der Leidenschaft“. Die Hommage, die „Mein Liebster Feind“ sein soll, ist denn auch über weite Strecken eine Reflexion auf den Narzissmus des Autorenkinos, die oft sadistische Züge annimmt: Mit erregtem Schauder schildert Herzog Unfälle und Verstümmelungen auf dem Set. Und sein Stöhnen darüber, wie er es mit Kinski überhaupt aushalten konnte, gilt auch der eigenen Führungshärte. Nur die Frauen hatten keine Probleme mit Kinski/Herzog: Eva Matthes fand die Zusammenarbeit bei „Woyzeck“ angenehm, und Claudia Cardinale mochte die zuvorkommende Art Kinskis bei „Fitzcarraldo“. Vielleicht litt am Ende doch nur Herzog an seinem Alter ego. Denn von all der Härte merkt man auch bei Kinskis eigener Regiearbeit kaum etwas.

Sein 1989 gedrehter „Kinski Paganini“ ist ein Porträt des italienischen Violinisten, das zugleich die Biografie des Schauspielers miterzählen will. Ein verträumtes Märchen mit viel Naturlicht auf den morgens glitzernden Piazze von Venedig. In der Engführung von Romantik und Selbstsucht gerät einiges durcheinander: Statt das Talent Paganinis in den Kontext zur Musik seiner Zeit zu stellen, beharrt Kinski auf Künstlermythen. So wird die historische Figur aus dem 19. Jahrhundert zum geigenden Sex-Maniac, dem betörte Fräulein beim Geigen am Hosenlatz lecken. Manchmal treten auch deckende Hengste auf, die ihrem Geschäft nachgehen, während sich berüschte Schönheiten in Kutschen befriedigen. Danach geigt der Chef wieder selbst. Teresa Orlowski inszeniert so etwas viel konsequenter.

Tatsächlich ist Kinskis überladener, mit der halben Familie besetzte Film ein Manifest des Autismus. Weil er sich völlig mit Paganini identifiziert, nimmt er nur die Tragik der Person wahr, die dem eigenen Leben gleichkommt. Die Musik wird als Ekstase zelebriert, obwohl sie mehr von handwerklichem Geschick zeugt. Bei genauerem Hinhören klingt das von dem Violonisten Salvatore Accardo angeblich authentisch reproduzierte Highspeed-Gefiedel wie abstraktes Schaben. Dafür hat der Film jedoch keine Bilder. Immer nur sieht man Kinski. Bis zum tragisch aufgeschäumten Tod im Crescendo. Zwei Jahre später starb er an einem Herzversagen – „als wäre er verglüht“, wie Herzog sagt. Sein Film allerdings endet mit einem fröhlichen Kinski, der lächelnd mit einem Schmetterling spielt.

„Mein Liebster Feind“. Regie: Werner Herzog. Mit Klaus Kinski u. a., D/UK 1999, 95 Min. „Kinski Paganini“. Regie: Klaus Kinski. Mit Klaus, Debora und Nanhoi Kinski u. a., I/F 1989, 81 Min.

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