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Per Mausklick zur Diss

Den Ruf der Kultusministerkonferenz haben einige Universitäten erhört: Nun können Dissertationen im Internet veröffentlicht werden  ■   Von Elke Spanner

Bücher halten Jahrhunderte – wie lange eine Dissertation im Internet überdauert, ist aber offen

Der Start in die wissenschaftliche Karriere beginnt mit dem persönlichen Ruin. Wer einen Doktortitel vor seinem Namen hertragen will, muss dafür nicht nur eine umfängliche Studie erarbeiten, sondern diese in Buchform binden und verbreiten – und das kostet. Druckkosten in Höhe von mehreren tausend Mark für den Doktoranden, Porto für die Unibibliotheken, die die Exemplare an Archive weltweit verschicken, Schwerarbeit für die Poststellen. So handelten die deutschen KultusministerInnen der Länder im allseitigen Interesse, als sie am 30. Oktober 1997 den Universitäten empfahlen, den Puls der Zeit in den eigenen Hallen schlagen zu lassen: Seither können Dissertationen auch im Internet veröffentlicht werden.

An einigen Universitäten und Fachbereichen. An anderen nicht. Die Empfehlung der KultusministerInnen muss über den akademischen Senat in die Promotionsordnungen der Fachbereiche einfließen. An der Humboldt-Universität in Berlin wurden die Gesetzgeber tätig, ebenso in Oldenburg, Marburg oder Konstanz. In Hamburg haben seit vorigen Sommer ChemikerInnen, PhilosophInnen, KulturhistorikerInnnen, WirtschaftswissenschaftlerInnen und MedizinerInnen ihre Promotionsordnungen entsprechend erweitert.

An der Tradition, dass papierene Ausgaben in den Regalen der Bibliotheken stehen müssen, rütteln indes auch die KultusministerInnen nicht. Deshalb müssen die VerfasserInnen nach wie vor drei bis sechs, in Hamburg vier Exemplare der Dissertation „auf alterungsbeständigem holz- und säurefreiem Papier ausgedruckt und dauerhaft haltbar gebunden“ abliefern. Allein wie darüber hinaus das Werk der „wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird“, steht zur Disposition.

1962, erklärt Wolfgang Prück, Leiter der Tausch- und Dissertationsstelle der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek Carl-von-Ossietzky (Stabi), schrieb man bundesweit in die Promotionsordnungen, dass jeweils 150 Exemplare der Arbeit als Buch vorgelegt werden müssten. Sie wurden weltweit unter den Hochschulen getauscht.

Die Zahl der Pflichtexemplare ist jedoch immer mehr gebröckelt. Zum einen habe sich das System nicht aufrechterhalten lassen, weil zwischenzeitlich die „Zeiten der Massenunis“ ausgebrochen seien. Heute hat die Stabi einen festen Verteiler für die einzelnen Fachbereiche, je nachdem, ob es sich um eine medizinische, juristische, theologische oder chemische Promotion handelt. Zum anderen, betont Prück, hängt das wissenschaftliche Interesse an der Verbreitung schlicht vom Thema ab. „Eine Dissertation über Goethe hat auch noch in 20 zwanzig Jahren Bestand“, sagt er, „eine medizinische ist dann schon lange überholt.“

Folglich müssen MedizinerInnen in Hamburg heute nur noch vierzig Bücher über ihre Forschung abliefern – wenn sie diese nicht über den Server der Stabi ins Internet stellen. Angenommen wird die neue Methode gut. Bisher sind 71 Arbeiten über die Hansestadt ins Netz gekommen. Per Mausklick nachzulesen ist ebenso über die „Zeichen friedlicher und bewaffneter Wallfahrt in der toskanischen Skulptur des 12. Jahrhunderts um Guiltelmus und Biduinus“ wie über die „Synthese von Tetrahydrooxazolo (4,3 c) 1,2,4 oxadiazol 5-onen und so weiter und so fort“. Hingegen findet sich im World Wide Web keine in Hamburg verfasste historische Promotion. Der Fachbereich Geschichte versperrt sich noch der elektronischen Veröffentlichung.

Dadurch sollen aber nicht die HistorikerInnen über alle Maßen geschröpft werden. Der Grund ist ein anderer: Man habe den Sachverstand der deutschen Archivare in Gestalt deren Fachverbandes um Rat bemüht, so Fachbereichsplaner Eckart Krause. Die Archivare hätten darauf hingewiesen, dass Bücher einige hundert Jahre halten.

Der Beweis, dass auch elektronische Varianten die Jahrzehnte überdauern, sei indes noch nicht erbracht.

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