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Nicht ohne meine Kollegin!

Frauenförderung ist irgendwie peinlich – und ineffizient. Lediglich vier Prozent der deutschen Chefsessel werden von Frauen besetzt. Eine weibliche Führungskaste jenseits von Quote und Förderplan scheint unmöglich. Ohne gegenseitiges Protegieren unter Frauen wird das wohl auch noch eine Weile so bleiben, meint Cristina Nord

Unweit des Ku'damms in Berlin gibt es ein Geschäft namens „Transformation“. Jeder, der sich manchmal danach sehnt, als Frau aufzutreten, ist hier richtig. In den hellen, bewusst seriös gehaltenen Räumen finden sich die nötigen Requisiten – Pumps in Größe 44, Silikonbrüste, künstliche Vaginen. Für Unerfahrene bietet das weibliche Personal Anleitung; Schminktipps und Typberatung inklusive, Diskretion garantiert, Kosten: um die dreihundert Mark.

Die Idee zu „Transformation“ kam einer Frau, die selbst einmal ein Mann war: Stephanie Anne Lloyd. In England führt sie mehrere Filialen, einen kleinen Versand, auch an einer privaten Gender-Klinik ist sie beteiligt. Bis zu ihrer Geschlechtsumwandlung arbeitete sie als Manager in einem größeren Wirtschaftsunternehmen. Wenn sie heute mit ihrem Assistenten zu einer Gesschäftsbesprechung gehe, sagt sie, geschehe es ihr oft, dass sie als Sekretärin, der Assistent als Chef angesprochen werde.

Eine andere Geschichte, von einem Abiturtreffen. Einer erzählt: Das Studium zügig abgeschlossen, der Berufseinstieg bei einer Großbank, die Heirat, das erste, das zweite, das dritte Kind, die Karriere, die ihn für fünfzig, sechzig Stunden in der Woche ans Büro binde. Dass er es weit gebracht hat, daran lässt der junge Mann keinen Zweifel, dass er es noch weiter bringen wird, steht außer Frage. Die Frau ist derweil mit Erziehung und Haushalt beschäftigt – und zufrieden. Dass einer Frau, die zu Gunsten der Familie auf das berufliche Fortkommen verzichte, so wenig Respekt entgegengebracht werde, ärgere ihn maßlos, sagt der Banker.

Es sieht so aus, als hätte sich wenig geändert: Der Mann macht Karriere, die Frau hält ihm den Rücken frei. Und falls eine Frau einmal doch erfolgreich ist, wird sie mit der Sekretärin verwechselt. Nicht umsonst kursiert das Schlagwort von der gläsernen Decke: Frauen mögen noch so qualifiziert, leistungsstark, karrierewillig sein, eine unsichtbare Barriere hindert sie am Aufstieg an die Schaltstellen der Macht. Nicht umsonst ertönt alle Jahre wieder das bekannte Wehklagen: Wenn der Anteil von Frauen in dieser oder jener Position – bei den Inhabern von Softwareunternehmen, den Chefärzten oder den Bankvorständen – weiterhin so langsam steige wie bisher, dann könne das mit der Gleichstellung der Geschlechter noch dauern, lange dauern. Oder: Obwohl der Hase schneller läuft, sind die Igel immer schon da. Sie haben sich an beiden Enden der Strecke positioniert, haben Seilschaften, Netzwerke gegründet, die jede Hasenleistung schlucken.

Und die Quote? Die Frauenförderungskonzepte und -gesetze, die Gleichstellungs- und Frauenbeauftragten in den Universitäten, Behörden, Ministerien? Eine gute, eine notwendige Sache, finden diejenigen, die von Berufs wegen damit zu tun haben. So schreibt die nordrhein-westfälische Frauenministerin Birgit Fischer im aktuellen „Bericht zum Frauenförderungskonzept“: „Auch in Zukunft wird den Frauenförderplänen als Teil einer Personalentwicklungsplanung und der leistungsbezogenen Quote eine hohe Bedeutung für den Abbau der Unterrepräsentanz von Frauen zukommen.“ Dass die Realität nicht unbedingt dafür spricht, sagt der Bericht auch: Obwohl das nordrhein-westfälische Frauenförderungsgesetz – als erstes in der Bundesrepublik – bereits 1989 in Kraft trat, gibt es im öffentlichen Dienst nur wenige Frauen, die den Sprung in leitende Positionen und hohe Besoldungsgruppen geschafft haben. Wachsender Beliebtheit hingegen erfreuen sich Teilzeitstellen: Gefördert wird in erster Linie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nicht der Aufstieg an die Spitze. Kaum erstaunlich, wenn sich nur wenige Männer auf die Kombination Teilzeit und Familie einlassen.

Das muss nicht heißen, dass die Quote versagt. Der Gedanke, einer Benachteiligung mit einer temporären Bevorzugung der benachteiligten Gruppe zu begegnen, ist auch heute – und allen Anfeindungen zum Trotz – plausibel, und vielleicht sind die mäßigen Erfolge der institutionalisierten Frauenförderung eine Folge davon, dass nicht konsequent genug gefördert wird. Das Programm „Frau und Beruf“, das die Bundesregierung Ende Juni vorstellte, zeigt es: Zu wenige Bestimmungen haben zwingende Kraft, bindenden Charakter.

Die Quote hat also bisher wenig gebracht. Böse Zungen sprechen deswegen bereits von einem System, dessen Zweck sich in sich selbst erschöpfe. Die Lobbyistinnen würden vor allem die eigenen Arbeitsplätze sichern. Doch Skepsis äußert sich auch dort, wo antifeministisches Ressentiment kaum zu erwarten steht. Die Grünen-Politikerin Renate Künast etwa fragte in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau: „Ist die Quote am Ende des Jahrhunderts das richtige Mittel oder eher ein altertümliches? Was nicht heißt, dass sie abgeschafft werden sollte. Es heißt, dass wir mit der Quote bis hierher gekommen sind und es keinen Meter damit weitergehen wird. Es ist an der Zeit, neue Fragen zu stellen – Machtfragen.“

Um genau solche Fragen ist es Sonja Bischoff, Professorin für Betriebswirtschaft an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik, zu tun. Seit 1986 forscht sie zum Thema Frauen in Führungspositionen. Für ihre dritte, gerade erschienene Studie hat sie Fragebögen an 2.000 Führungskräfte in Wirtschaftsunternehmen versandt, 165 Frauen und 183 Männer haben ihr geantwortet. Deren Selbstauskünfte bringen so manches Klischee zum Wanken: Wer meint, dass Chefetagen allein den Männerbünden vorbehalten seien, dass ein weiblicher zugleich einen weicheren Führungsstil bedeute und dass Karrierefrauen zwischen Kinderlosigkeit oder dem Dasein als Rabenmutter wählen müssten, der wird eines Besseren belehrt. Erstaunlich viele erfolgreiche Frauen, freut sich Sonja Bischoff, würden nicht auf Nachwuchs verzichten, und erstaunlich viele hätten Vorgesetzte, von denen sie gefördert würden. Die Igel, so scheint es, lassen die Hasen Position beziehen.

Das Ansehen, das eine institutionalisierte Frauenförderung unter den befragten Führungskräften genießt, ist gering. Ein großer Teil der Frauen und Männer glaubt, dass entsprechende Programme „als zeitgemäße PR-Maßnahmen zu interpretieren“ seien oder „bei den Entscheidungsträgern eher Abwehrhaltungen erzeugen“. Nur sieben Prozent der weiblichen Führungskräfte sind der Ansicht, dass die Förderung sinnvoll sei. Bischoff: „Ein Zusammenhang zwischen Frauenfördermaßnahmen und der Höhe der Frauenanteile in Führungspositionen ist zumindest auf der Basis der hier vorliegenden Daten nicht erkennbar.“

Diese Interpretation vergisst, dass es sich bei den Aussagen, die der Studie zu Grunde liegen, um Selbsteinschätzungen handelt – und die stellen keine Quelle dar, der man blindlings vertrauen sollte. Natürlich ist es viel attraktiver, das berufliche Fortkommen als Eigenleistung zu werten, anstatt in die Rolle der Quotenfrau zu schlüpfen; natürlich strahlen Begriffe wie Kreativität, Durchsetzungsvermögen, Kompetenz viel heller als das bürokratische Dickicht der Frauenförderprogramme. Gegenüber der Erotik der Macht verblasst jedes Gleichstellungsgesetz. Mehr noch: Wenn Frauen immerzu der Förderung bedürfen, wer will sie dann noch ernst nehmen? Wieso sollte, wer Sonderbehandlung erfährt, als gleichberechtigte Kollegin oder kompetente Vorgesetzte betrachtet werden?

Solidarität, Feminismus, Sisterhood: Das sind Vokabeln, die von Belang sind, wo Bruttojahresgehälter sich auf 18.000 und nicht auf 180.000 Mark belaufen, wo der Kampf um die letzte verbleibende ABM-Stelle zum Alltag gehört – in den Nischen der Frauenprojekte, nicht in den Führungsetagen. „Insbesondere Frauen in den höheren Führungsebenen und Frauen in Unternehmen mit besonders hohen Frauenanteilen in Führungspositionen haben überdurchschnittlich häufig negative Erfahrungen mit vorgesetzten Frauen gemacht“, schreibt Bischoff. Rivalität, Konkurrenzdenken, Neid – die Hamburger Professorin spricht gar von „Stutenbissigkeit“ – würden die Arbeitsbeziehungen belasten.

Ob das so bleiben muss, ist eine andere Frage. Denn jenseits des Hauens und Stechens und der als unattraktiv und wirkungslos empfundenen Quote zeichnet sich durchaus ein dritter Weg ab. Als durchweg positiv werden die Erfahrungen mit Netzwerken und Mentorschaft beschrieben. In dem Maße, wie erfolgreiche Männer sich Protegés heranziehen, können auch erfolgreiche Frauen an Seilschaften arbeiten. Sobald eine Unternehmerin, eine Chefredakteurin, eine Chefärztin ihre Erfahrungen an eine Jüngere weitergibt, sobald sie sich als Mentorin für deren Belange stark macht, entstehen Netzwerke, von denen alle profitieren: Auf dass der Hase einen zweiten Hasen auf der anderen Seite des Feldes weiß, der noch vor dem Igel ruft: „Bin schon da.“

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