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Das Viertel soll in Bekirpasa helfen

■ Ernüchtert, aber mit neuen Ideen, wie es weiter gehen soll, kehrten BremerInnen aus der türkischen Erdbebenregion zurück

„Ohne Partner vor Ort ist es unmöglich, wirklich zu helfen.“ Dieses Fazit zieht Robert Bücking, Leiter des Ortsamts Mitte/Östliche Vorstadt nach einer Woche im türkischen Erdbebengebiet. Zusammen mit drei weiteren Mitstreitern der „Bremer Hilfsinitiative für die Erdbebenopfer in der Türkei“ war er nach Izmit gereist, um auszuloten, wie die Mittel, die bei der Aktion „Das Viertel hilft“ zusammen gekommen sind, am sinnvollsten eingesetzt werden können.

„Ein großes Problem ist die türkische Regierung,“ berichtet Bücking. Der Staat beschlagnahme derzeit viele Hilfsgüter und Spendengelder, um sie über seine Krisenstäbe zentral zu verteilen– ohne diese Aufgabe allerdings so zu bewältigen, dass die Betroffenen etwas davon haben. Rund 80.000 Menschen werden in Izmit in Zelten überwintern müssen. Sie sind das behördliche Helferchaos satt, fasst Birol Sertürk, Student und Initiativenmitglied, seine Reise-Erfahrungen zusammen. Und: „Die Menschen misstrauen den Behörden mittlerweile.“

Um unter diesen Bedingungen trotzdem Wege für effektive Hilfsprojekte zu finden, haben er und die anderen Bremer direkt mit Menschen in Izmits Stadtteil Bekirpasa nach Lösungen gesucht. Ein möglicher Ansatzpunkt für die Bremer Hilfe zeichnet sich nun ab: Im Nordosten des Stadtteils soll zunächst eine Zeltstadt, später ein neuer Stadtteil für die Bewohner Izmits entstehen, die nicht mehr in den tektonisch gefährdeten Teilen der Stadt leben können. Das Herz der Zeltstadt und des späteren Stadtteils soll ein Medizin- und Sozialzentrum sein. Daran arbeiten schon jetzt viele türkische Organisationen in der Stadt – besonders ein halboffizielles Bürgerkomitee namens „Halkevi“, übersetzt: Das Volkshaus.

„Diese Leute kommen aus den betroffenen Schichten, es ist keine Elitegruppe. Aber sie haben auch Kontakt zu den Einflussreichen in der Stadt,“ sagt Birol Sertürk. Außerdem ist die Initiative in ein Netzwerk von Verbänden und Graswurzelorganisationen von der Architektenkammer bis hin zum Kulturverein der „Zugewanderten aus Sivas“ eingebunden, dem „Kent Kulturay“, übersetzt etwa der „Stadtrat“. Die Bremer hoffen, dass die Aktivisten von „Halkevi“ so gewährleisten können, dass Hilfe von Außen zum einen überhaupt ankommt, und zum anderen nicht veruntreut wird.

Die Türkeireisenden wollen deshalb ihrer Initiative vorschlagen, diese Gruppe beim Aufbau des Medizin- und Sozialzentrums mit den Mitteln, die bei der Aktion „Das Viertel hilft“ zusammengekommen sind, zu unterstützen.

Die Welle der Hilfsbereitschaft reißt indes in Bremen nicht ab. Neben der Islamischen Föderation, die in den Moscheen sammelt, bemühen sich der Deutsch-Türkische Frauenverein und andere Initiativen weiterhin um Spenden. Die Telekom-Belegschaft hat 10.000 Mark gesammelt, eine Sammelaktion des Deutschen Roten Kreuz auf der Hafa brachte mehr als 7.000 Mark, die für ein Waisenhaus in der Erdbeben-Region Adapazari verwandt werden sollen.

Auch diese Helfer müssen sich nun Gedanken machen, wie sie ihre Spenden effektiv einsetzen können. Deshalb wollen sich die Türkeireisenden von „Das Viertel hilft“ nun mit den übrigen Bremer Spendensammlern kurzschließen. „Es wäre gut, wenn möglichst viele an einem Strang ziehen,“ sagt Robert Bücking. „Garantien gibt es in dieser Situation in der Türkei nicht. Aber diese Zusammenarbeit mit Halkevi ist nach unserer Einschätzung das Beste, das möglich ist.“ Und Birol Sertürk ergänzt: „Die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, sind wirklich gute Leute. Wenn überhaupt, dann klappt es mit denen.“ L.R.

„Das Viertel hilft“, Bericht heute um 20.00 Uhr im Bürgerhaus Weserterrassen. Spenden an: 16 72 195, Sparkasse Bremen, BLZ 290 501 01, „Das Viertel hilft“.

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