piwik no script img

Ja, das muss doch Liebe sein ...

Wenn Frauen ihre Ferienbekanntschaft heiraten und sich an fremden Gestaden niederlassen. Der Verein deutscher Frauen in Tunis kennt viele naive Träume, die Vorurteile festigen  ■   Von Renate Fisseler-Skandarani

Im Zeitalter des Massentourismus bahnt sich eine gewisse Zahl von Partnerschaften im Urlaub an. Frau verliebt sich in ihre Ferienbekanntschaft, beispielsweise im Tourismusland Tunesien. Aus einer zunächst kurzen Affäre wird oft schnell eine Verbindung mit Zukunft. Der Wunsch zusammenzubleiben stellt sich bei manchen bald ein, eine Heirat wird in Erwägung gezogen. Es sollen mehr als tausend Frauen sein, die jährlich den Informationsservice der deutschen Botschaft in Tunis nutzen. Sie informieren sich über die Formalitäten der Eheschließung in Deutschland und in Tunesien, oder sie wollen die hierzu erforderlichen Schritte einleiten. Bei den meisten Paaren besteht der Wunsch, in Deutschland zu heiraten und zu leben. Einige entscheiden sich aber auch für Tunesien. Der Verein deutscher Frauen in Tunesien bietet solchen Paaren Information und Beratung.

Frauen, die den Schritt in die Fremde wagen, lassen sich grob in zwei Altersgruppen einteilen: Junge Frauen um die zwanzig, die sich oft in der Berufsausbildung befinden oder sogar nochSchülerinnen sind. Frauen ab 40 Jahren und älter. Sie kommen häufig aus sozialen Berufsgruppen wie Krankenschwester, Sozialpädagogin, Erzieherin, Lehrerin. Ein Teil dieser Frauen ist nicht oder nicht mehr erwerbstätig. Sie leben allein, sind geschieden oder unverheiratet. Sind Kinder da, so sind sie meist erwachsen oder haben das Haus verlassen. Die tunesischen Partner dieser Gruppe von Frauen sind in der Regel jünger, 10 bis 20 Jahre bis hin zu 30 Jahren und mehr. Beratungsanfragen an den Verein deutscher Frauen in Tunesien richten häufig Frauen, die bereits in Tunesien leben oder kurz vor der Übersiedlung stehen. Ihre Probleme sind unterschiedlich und doch ähnlich. Hier einige Beispiele:

Frau M. ist Krankenschwester von Beruf und hat seit sechs Jahren einen Freund in Hammamet. Nun will sie mit ihrer 15-jährigen Tochter nach Tunesien übersiedeln. Ihre Arbeit in Deutschland hat sie bereits aufgegeben, die Wohnung gekündigt, aber jetzt lässt sich der tunesische Freund am Telefon verleugnen. Darüber hinaus hat Frau M. festgestellt, dass vom gemeinsamen Konto in Deutschland größere Summen abgehoben wurden.

Frau K., Journalistin, Ende 30, lernt 1990 in Zarzis, Südtunesien, ihren Freund kennen. Ein Jahr später heiraten sie. Sie bringt 100.000 Mark nach Tunesien, lässt ein Haus auf dem Grundstück des Schwiegervaters bauen, wird jedoch bei der Trennung um das Haus gebracht, dessen rechtmäßige Besitzerin sie nicht ist. Sie schreibt ein Buch über ihre Geschichte, in dem sie das Scheitern ihrer Beziehung und den Verlust des Vermögens aus der „arabischen“ Mentalität herleitet.

Aus Djerba ruft eine Frau zweimal beim Verein deutscher Frauen in Tunesien an: am Tag der Eheschließung, als sie sich über den ehelichen Güterstand informieren möchte (sie möchte in Tunesien ein Verbindungsbüro für deutsche Firmen eröffnen), ein halbes Jahr später von neuem, weil sie für die Scheidung einen Rechtsbeistand sucht und Geld vom Ehemann zurückhaben möchte. Ihr Fazit: Ihr Mann sei ein Betrüger und habe sie nur des Geldes wegen geheiratet. Nun habe sie erfahren, dass er gleich mehreren Frauen die Ehe versprochen habe, eine davon sei über siebzig.

Frau F., Arbeiterin, ist mit ihren vier Kindern nach Nabeul gekommen, wo sie ihren tunesischen Freund heiraten möchte. Sie möchte Informationen im Hinblick auf die Aufenthaltsgenehmigung und Hilfestellung bei der Arbeitssuche. Sie spricht weder Arabisch noch Französisch.

Frau O., Frührentnerin, ist verzweifelt, weil der Kontakt zu ihrem tunesischen Freund abgebrochen ist. Sie hatte ihn mehrmals besucht, doch nun sei die Schwester, der sie keine Geschenke mitgebracht habe, gegen die Beziehung.

Frau B., seit langem verbeamtete Lehrerin und allein stehend, hat einen tunesischen Bekannten und möchte etwas über Arbeitsmöglichkeiten in Südtunesien wissen, vielleicht auf Djerba ein Haus bauen. Auf die Frage, warum sie aus Deutschland weg möchte, fallen die Stichworte Konsumgesellschaft und Lebensart.

Frau N. hat nach halbjähriger Ehe fluchtartig Djerba verlassen, um sich vor Schlägen und Misshandlungen ihres Ehemannes zu retten. Sie habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, aber für ihren Mann sei jede Deutsche eine Schlampe und Nutte. Aus Dummheit und Naivität habe sie viel Geld verloren. Jetzt sei sie in Deutschland ohne Arbeit und Wohnung.

In keiner der Anfragen wurde von den Frauen selbstkritisch die Entstehung der Partnerschaft selbst oder der manchmal große Altersunterschied angesprochen. Keine der Frauen fragte nach den besonderen Rahmenbedingungen, unter denen solche Urlaubskontakte entstehen. Die meisten Frauen fühlen sich als Opfer.

Hohe Erwartungen und Wünsche auf Seite der Touristinnen treffen auf ganz reale, soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit und soziokulturelle Ungleichzeitigkeiten auf der Seite des tunesischen Freundes. Die Bedürfnisse beider Seiten – bei den Frauen eher eine emotionale Bedürftigkeit, bei den Männern häufig soziale Bedürftigkeit – verknüpfen sich auf ganz eigene Art. In Tunesien hat dies zur Entstehung des Gewerbes des mehr oder weniger geschäftsmäßigen Liebhabers geführt – „bezzness“ genannt, abgeleitet vom englischen business. In den Hochburgen des Tourismus gehen Männern zwischen 20 und 30 Jahren diesem Gewerbe „nebenberuflich“ nach.

Auch bei längerfristigen Kontakten und Beziehungen, die sich in den Ferien anbahnen, können materielle Erwägungen oder die Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland durchaus eine Rolle spielen. Dabei sollte sollte sich die in Liebe entflammte Frau vor allem eins klarmachen: In Tunesien ist der Begriff der Ehe mitgeprägt von Vorstellungen und Notwendigkeiten traditioneller Gesellschaften, das heißt mit der Heirat soll zugleich eine materielle Grundlage geschaffen werden, die das gemeinsame Leben absichert. Darüber hinaus soll die Ehe, wenn nötig, auch die Herkunftsfamilien unterstützen. Es ist wichtig, solche soziokulturellen Gegebenheiten im Auge zu behalten. Das Erkennen unterschiedlicher Motivationen und Interessen erleichtert den Umgang mit der Partnerschaft, im Zweifelsfalle auch mit deren Scheitern.

Gerade lebenserfahrenen Frauen in den mittleren Jahren, die eine gesicherte berufliche und materielle Situation in Deutschland haben, scheinen die fremde Realität gerne auszublenden, wenn sie zu ihrem Partner nach Tunesien übersiedeln: Sie können sich oft sprachlich kaum verständigen, haben wenige oder gar keine Kenntnisse über die rechtliche, soziokulturelle und politische Situation im Lande, und sie überlassen die Regelung der familiären Alltagsangelegenheiten mehr oder weniger ganz dem Partner.

Eine bewusste oder unbewusste Regression? Ein sich nach Jahren der Selbstständigkeit erleichtertes Fallen-Lassen in scheinbar starke Arme? Und ist es vielleicht gerade diese Realitätsferne, die Projektionen der leidenschaftlichen Art zulässt? Das Fremde, Unbekannte und Unverstandene als Projektionsfläche ungestillter Sehnsüchte und Bedürfnisse. Bedürfnisse nach Zärtlichkeit, Sich-Fallen-Lassen-Können und dem Umworbenwerden als Frau, nach Nähe und Geborgenheit. Ein kleines bisschen Glück eben.

In diesem Zustand der Bedürftigkeit und des regressiven Verharrens wird eine fremde Kultur eigentlich gar nicht wirklich wahrgenommen. Dadurch wird ihre Realität als fremd und bedrohlich empfunden. Wirkliche Annäherung und ein Sich-Einlassen auf eine fremde Kultur erfordern Anstrengungen und bedeuten Arbeit. Für diese Annäherung ist ein eigenständiges, selbstverantwortliches und selbstbewusstes Handeln notwendig. Ohne diese eigenständige Aneignung des Fremden, ohne das bewusste Aushandeln eines gemeinsamen bikulturellen und interkulturellen Lebensortes, ist eine Partnerschaft kaum möglich.

Meist bringen die deutschen Frauen eigene Ersparnisse in die Beziehung ein, womit ein Haus gebaut, eine Wohnung gekauft, ein Geschäft erworben wird. Dieser Besitz scheint den Frauen eine Art äußerer Sicherheit zu gewähren. Er gibt das Gefühl, „mir kann ja nichts passieren“. Scheitert die Beziehung, geht mit der Trennung häufig der Kampf um diese materiellen Anschaffungen einher. Und fast immer haben es die Frauen im fremden Land versäumt, einen eigenen Besitztitel (für AusländerInnen in Tunesien mit einem langwierigen Genehmigungsverfahren verbunden) zu erwerben. Statt sich im Vornherein kundig zu machen, fühlen sich die Frauen im Nachhinein betrogen.

Das Ausblenden von Realität setzt sich zuweilen nach dem Scheitern der Beziehung konsequent fort: Die Übernahme der Opferrolle bietet sich an. Schuldzuweisungen und die altbekannten Vorurteile über arabische Mentalität entlasten. So schreibt beispielsweise Frau K. ein Buch über ihre Beziehung zu einem wesentlich jüngeren Tunesier. „Moralische und ethische Werte, die Begriffe Gut und Böse oder auch nur einfache oder schlimme Lüge (...) haben in dieser so ganz anderen Kultur einen anderen Stellenwert als bei uns.“

Solche Stereotype und kulturalistischen Verallgemeinerungen ersetzen die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und klopfen Vorurteile fest. Schuld ist die andere Mentalität. Eine Aufarbeitung der gescheiterten Beziehung erübrigt sich.

Renate Fisseler-Skandarani ist mit einem Tunesier verheiratet und lebt in Tunis. Sie ist Mitbegründerin des Vereins deutscher Frauen in Tunesien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen