: Vier Milliarden – das letzte Gebot?
■ Harte Fronten im Streit um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter. Der Sprecher der deutschen Industrie mahnt die Opferverbände, „das Geld zu nehmen und zu verteilen“
Berlin (rtr) – Im Ringen um die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter haben sich die Fronten verhärtet. Der Sprecher der Industrieseite schloss am Wochenende aus, dass sie mehr als die vorgeschlagenen vier Milliarden Mark zahlt. Nach einem unbestätigten Bericht der Berliner Zeitung erwägen die Firmen, aus den Verhandlungen auszusteigen. Der Anwalt der Opfer Michael Witti sagte, er werde die „Kommunikationskanäle öffnen“, um doch noch einen zweistelligen Milliardenbetrag zu erzielen. Der frühere SPD-Chef Hans-Jochen Vogel sprach sich für insgesamt zehn Milliarden Mark aus. Auch der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, verlangte ein Überdenken des Angebots.
Das Angebot, wonach die Industrie vier Milliarden Mark und die Bundesregierung zwei Milliarden zahlen, war am Donnerstag in Washington vorgelegt worden. Der Jüdische Weltkongress und die Anwälte der Opfer kritisierten das Angebot als zu niedrig, die Bundesregierung schloss aber eine Erhöhung ihres Anteils aus. Die Verhandlungen sollen Mitte November in Bonn weitergehen.
Der Sprecher der Stiftungsinitiative der Industrie, Wolfgang Gibowski, sagte hingegen: „Was wir vorgelegt haben, ist bereits ein Kompromiss.“ Notfalls müsse die Wirtschaft „eine andere Lösung“ finden. Möglich sei eine separate Entschädigung der Zwangsarbeiter, die in Osteuropa eingesetzt gewesen seien. „Es liegt der deutschen Wirtschaft daran, eine Lösung zu finden für die Opfer, für die Überlebenden“, so Gibowski.
Einen Bericht der Berliner Zeitung, wonach die Industrie einen Ausstieg erwägt, bestätigte er nicht. Nach Recherchen der Zeitung würden die deutschen Firmen im Falle des Ausstiegs jeweils die eigenen Zwangsarbeiter entschädigen, so wie es VW und Siemens getan haben. Ein gemeinsamer Betrag wäre dann nur noch für einen Zukunftsfonds vorgesehen, aus dem unter anderem Jugendprojekte bezahlt würden.
Nach Gibowksis Worten würde auch eine Beteiligung von mehr als den bisher 16 Firmen an der Stiftungsinitiative nicht zu einem höheren Angebot führen. „Wir brauchen schon mehr Unternehmen, um die vier Milliarden zusammenzukriegen.“ Er appellierte an die Opferverbände, „das Geld zu nehmen und zu verteilen“.
Der Anwalt Witti sagte, es könne nicht sein, „dass der Schuldner bestimmt, wie viel er wann und wo bezahlt“. Er strebe weiter eine Lösung am Verhandlungstisch an. Die Forderung nach einem zweistelligen Milliardenbetrag entspreche der deutschen Rechtsprechung, die Ex-Zwangsarbeitern rund 15.000 Mark zuspreche.
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