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„Hohe Empfindlichkeiten“

Das Schweigen der Kritiker: Was im Hamburger Architektur-Jahrbuch 1999 trotz massiver Kompetenz nur zwischen den Zeilen steht  ■ Von Ulrike Bals

Es käme wohl einer Kulturrevolution gleich, wollte man die Verfassung Finnlands auf Deutschland übertragen: Eine schöne Umgebung, heißt es dort, sei ein Grundrecht jeden Bürgers. Gemessen an den Realitäten sollte der Traum, durch Architektur die Welt verbessern zu können, ausgeträumt sein, meint der Berliner Architekturkritiker Gert Kähler. Gefragt sei heute nur noch das schönste Design für eine schöne neue Welt, resümiert er bitter anlässlich der Präsentation des Jahrbuches Architektur in Hamburg 1999.

Hässliche Häuser, verödete Innenstädte und verbaute Stadtränder – das Sündenregister der Planer ist lang und eine kritische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit unbedingt erforderlich. Ziel des Jahrbuches sei es, die Hamburger Baukultur zu fördern, so der Präsident der Hamburgischen Architektenkammer, Konstantin Kleffel. Und so liest sich denn auch die Autorenliste des alljährlich von der Kammer herausgegebenen und finanzierten Buches wie ein Who is who der deutschen Architekturkritik. Dass sich die Kammer als Vertreterin der Architektenschaft solch massive Urteilskompetenz einlädt, verdient allen Respekt und weckt hohe Erwartungen.

Umso mehr muss da der Mangel an divergenten Positionen und kritischen Reflexionen enttäuschen. Das nahezu einhellige Schweigen der Kritiker legt den Verdacht nahe, dass mit dem Namen auch ihre Zurückhaltung erworben sei. Wenn das Hamburger Jahrbuch unter den deutschen Architekturdokumentationen dennoch eine herausragende Stellung einnimmt, so liegt das nicht zuletzt an seiner klaren, überzeugenden Gestaltung und den durchweg originell und kurzweilig geschriebenen Texten, die zudem mit zahlreichen exzellenten Architekturfotografien illustriert sind. Das lässt allein das Durchblättern schon zum Genuss werden.

Feines Gespür hat die Redaktion auch 1999 wieder bei der Suche interessanter Projekte und ungewöhnlicher Themen bewiesen, wie Gert Kählers Beitrag „Importierte Identität: Hamburger Architekten schauen nach Osten“. Die von ihm zitierten Bedenken des ostdeutschen Architekturkritikers Wolfgang Kil zur unreflektierten Adaption westlichen Bauens zerstreut er jedoch leichthin mit den Worten, so könne man die Neubauten der drei Hamburger Architekturbüros in Mecklenburg-Vorpommern im Ernst gar nicht betrachten.

Klartext, wie in Florian Martens heilsam sarkastischem Artikel „Die City ist tot, es lebe die City“, wird leider nur allzu selten gesprochen. Und auch Niklas Maaks differenzierte Betrachtung der Neubebauung am Rothenbaum bleibt eher die Ausnahme, auch wenn es sich hier zugegebenermaßen nicht um Projekte Hamburger Büros handelt.

Stattdessen muß sich der Leser in der Kunst üben, zwischen den Zeilen zu lesen. So etwa bei der in diesem Jahr erstmals eingeführten Wettbewerbsnachbetrachtung der Rubrik „Neue Projekte“: Allein das Übergehen des ersten Preisträgers des Wettbewerbs Neubebauung am Axel-Springer-Platz, Massimiliano Fuksas, und die detaillierte Beschreibung des nicht nominierten Entwurfes des jungen Hamburger Architektenteams and8 verrät unterschwellige Kritik an den Auswahlkriterien der Jury.

Doch was gesagt werden sollte, bleibt ungesagt. Woran es dem Jahrbuch fehlt, bei aller herausragender Qualität, ist schlicht die Souveränität. Und auch der Geschäftsführer der Architektenkammer, Ulrich Schwartz, der zugleich mit Dirk Meyhöfer die Jahrbuchredaktion stellt, gibt zu bedenken, dass „die enge Verbundenheit der Organisation zu den Mitgliedern“ nur wenig kritische Distanz erlaube, „bei gleichzeitig hohen Empfindlichkeiten“. Eine kurzfristige Strategie der runden Ecken, denn was wäre umgekehrt von einem Literaturkritiker zu halten, der nebenbei einem großen Buchverlag verpflichtet ist?

Auch wenn im Beirat der Redaktion renommierte Kritiker sitzen: Solange der Verband die Federn führt, bleibt aufrichtige Auseinandersetzung mit gebauter Realität in Hamburg ein frommer Wunsch.

„Jahrbuch Architektur in Hamburg“, Junius Verlag, Hamburg 1999, 176 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 68 Mark

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