■ Die PDS stürmt von Sieg zu Sieg – und weiß doch nicht, was sie damit anfangen soll. Der „natürliche“ Koalitionspartner SPD ist zu schwach. Schon denken einige Genossen vorsichtig über Bündnisse mit der CDU nach. Größtes Hindernis aber ist das eigene Programm: Siegestrunken, der Zukunft hinterher
Es ist an diesem Montag die gleiche Fröhlichkeit wie immer in den vergangenen Wochen, es sind die gleichen mickrigen Blumensträuße, die gleichen ungelenken Umarmungen. Die Art der PDS, sich selbst zu feiern, passt zu ihr. Ausgelassen, aber etwas unbeholfen. Typisch Osten eben. Man beleidigt die Partei nicht, wenn man das sagt, im Gegenteil. In diesen Tagen, wo die DDR bemerkenswert munter ihren 50. Geburtstag feiert, wird in Ostdeutschland ja sowieso viel über sich selbst gelacht. Fehlt eigentlich nur noch, dass Leander Haußmann mit Lothar Bisky an der Spitze eine Polonaise bis zur Sonnenallee tanzt.
Aber ganz so schlimm ist es noch nicht. Die PDS feiert nur, was ihr zusteht: ihre grandiosen Wahlsiege. Bei allen fünf großen Wahlen in diesem Jahr waren die Sozialisten neben der CDU die großen Gewinner. In Thüringen und Sachsen verdrängten sie die SPD sogar auf den dritten Rang. Und jetzt haben sie in Berlin auch noch im Westen zugelegt; in Ostberlin sind sie sowieso die Nummer eins. Seit Gerhard Schröder seinen harten Mitte-Kurs steuert, sammelt die PDS alles ein, was links liegen bleibt. Das nennt sie dann Politik der sozialen Gerechtigkeit.
Die PDS lebt! Und wie. Aber sie feiert vielleicht zum letzten Mal so ausgelassen. Schon jetzt mischen sich in die Partylaune die nachdenklichen und besorgten Töne. Die Partei stehe vor einer „dramatischen, alles entscheidenden Zäsur“, meint André Brie, der Querkopf der PDS, inzwischen Europaabgeordneter. Dass die PDS lebt, ist jetzt, nach zehn Jahren, genug bewiesen. „Spätestens seit Sonntagabend sind wir kein politisches Phänomen mehr“, sagt Roland Claus, der parlamentarische Geschäftsführer der PDS-Bundestagsfraktion, „wir werden wie eine normale Partei wahrgenommen.“ Thomas Falkner, einer der engsten Vertrauten von Parteichef Lothar Bisky, sieht die PDS gar vor der Aufgabe, mit ihrer politischen Kultur zu brechen: „Es war bequem, politisch ausgegrenzt zu sein. Aber wir können die Welt nicht mehr nur aus der Sicht der kleinen, geächteten Oppositionspartei betrachten.“ Wer wie die PDS in Thüringen und Sachsen zweitstärkste Partei sei, so Falkner, vom dem werde erwartet, dass er bei den nächsten Wahlen kein Oppositions-, sondern ein Regierungsprogramm vorlege. Aber genau da beginnt das Problem.
Thomas Falkner kennt es genau. Der 42-jährige Journalist leitet seit ein paar Monaten den neuen Bereich Strategie- und Grundsatzfragen beim Parteivorstand. Unter seiner Regie sind zwei interne, von der Parteiführung bislang noch nicht diskutierte Papiere geschrieben worden, die die Defizite der PDS schonungslos aufzeigen: Den großen Reformfragen, insbesondere dem Umbau des Sozialstaates, so heißt es darin, hinkt die PDS meilenweit hinterher. In den beiden Papieren werden den Genossen ihre Schwächen gleich reihenweise um die Ohren gehauen. „Wunschprogramme“ schreibe die Partei. Viele Vorschläge seien utopisch und nie im Leben finanzierbar, nicht mal dann, wenn man die steuerpolitischen Vorschläge der PDS – Wiedereinführung der Vermögenssteuer, stärkere Besteuerung der Unternehmen – berücksichtigen würde.
Die Parteistrategen um Falkner ziehen daraus eine nüchterne Bilanz: Die Profilierung der PDS als Partei der sozialen Gerechtigkeit biete zwar große Möglichkeiten, aber es bestehe auch die Gefahr, dass sich die PDS sehr schnell in die Rolle einer „linkskonservativen-populistischen Partei“ drängen lasse. Durch die gegenwärtige Schwäche der SPD wird es, so paradox das klingen mag, für die PDS-Reformer schwerer, ihre Partei umzukrempeln. Die Versuchung, den Bürgern jetzt all das zu versprechen, was die Sozialdemokraten nicht mehr halten wollen, ist groß. Bei so viel Fürsorge geraten die guten Modernisierungsvorsätze schnell in Vergessenheit. Falkner fordert von seiner Partei daher eine „strategische Neuorientierung“.
Lässt sich so verstehen, warum die PDS seit vier Wochen auffällig oft über die CDU redet? Eher nicht. Und doch verwirrt es. Gysi fordert die Christdemokraten auf, endlich ihr Verhältnis zur PDS zu klären. Bisky entdeckt auf einmal, dass es in der CDU vielleicht mehr sozialdemokratische Traditionen gebe als in der SPD. Wann gibt es im Osten die erste CDU-PDS-Koalition?, werden die Genossen auf einmal verwirrt gefragt.
PDS-Chef Bisky hält dies für ausgemachten Quatsch. Er gibt offen zu, dass er mit der CDU nur kokettiere. Eine Zusammenarbeit mit den Christdemokraten sei noch unwahrscheinlicher als die ebenfalls theoretische Möglichkeit, dass er, Bisky, amerikanischer Präsident werde. Das Geplänkel mit der CDU hat für ihn allein mit der Enttäuschung über die Sozialdemokraten zu tun. „Niemand hat doch so sehr einen Sieg der SPD bei der Bundestagswahl erhofft wie die PDS-Reformer“, gibt der Parteichef zu. „Aber heute stellen wir ernüchtert fest, dass sich die SPD in babylonischer Gefangenschaft der CDU befindet.“
Das genau macht das Dilemma aus: Trotz aller Erfolge ist die PDS heute weiter von der Macht entfernt denn je. Die Regierungsbeteiligung in Schwerin droht ein einmaliges Experiment zu bleiben.
Vor diesem Hintergrund steckt hinter der CDU-Diskussion bei den Genossen ein rationales Kalkül. „Die SPD ist nicht mehr der natürliche Koalitionspartner der PDS“, meint Thomas Falkner, „höchstens der, der uns am nächsten steht.“ Er fordert seine Partei auf, sich nicht nur mit den Sozialdemokraten zu beschäftigen, sondern auch den Blick auf die CDU zu richten. „Die Modernisierer im Biedenkopf-Lager sind in manchen gesellschaftspolitischen Fragen gar nicht so weit weg von den Modernisierern in der PDS“, so der Stratege. Roland Claus, der Fraktionsmanager, will, dass seine Partei zur Kenntnis nimmt, warum die CDU wieder an Boden gewinnt: „Die CDU im Saarland hat einen viel moderneren, für junge Leute attraktiveren Wahlkampf geführt als die SPD.“
Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, bleibt vorerst offen. Keiner in der PDS-Führung denkt ernsthaft an eine Zusammenarbeit mit der CDU im Osten. Aber mehr als eine intellektuelle Lockerungsübung ist das ganze schon. „Die Dialogfähigkeit mit der CDU ist für uns eine strategische Frage“, gibt Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch zu. Und Thomas Falkner denkt schon mal ein paar Jahre voraus: „In der Bundesrepublik sollten alle demokratischen Parteien prinzipiell koalitionsfähig sein.“ Jens König, Berlin
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