: Schwere Stationen für Zwangsarbeiter
■ Sie besuchten gestern Borgward-Nachfolger Daimler-Chrysler
Von Bremen kennt Boris Kalaschnikow fast nur Borgward. Hier hatte er als Zwangsarbeiter gearbeitet und Militärfahrzeuge zusammengebaut. Gestern stand er zum ersten Mal nach mehr als 50 Jahren wieder auf dem ehemaligen Gelände der Borgwardwerke.
Nur an die eine Straße kann sich Kalaschnikow noch erinnern. Tränen stehen dem 71-Jährigen in den Augen als er in die Richtung blickt, wo früher das Lager war. Sonst ist alles anders: Die Firmen, die Gebäude. 57 Jahre sind vergangen, seit er mit der Bahn nach Sebaldsbrück gebracht wurde. Als 13-Jähriger wurde er damals in einer Menschenmenge festgenommen und in den Zug nach Deutschland gesteckt.
Borgward war damals wichtigste Rüstungsfirma. Mit strenger Hie-rarchie unter den Zwangsarbeitern: Ostarbeiter galten als „Untermenschen“: Sie mussten die schwerste Arbeit machen und waren am schlechtesten versorgt, berichtet Helga Buries-Sawalla vom „Verein Zwangsarbeit Walerjan Wrobel“. Gestern hatte Borgward-Nachfolger Daimler-Chrysler die ehemaligen Zwangsarbeiter zur Betriebsbesichtigung eingeladen. Zusammen mit vier weiteren Firmen hatte die Autofirma 25.000 Mark in den Bremer Hilfsfonds gespendet. Noch einmal so viel kam aus dem Sozialressort, damit die Einladung an die ehemaligen Zwangsarbeiter stattfinden konnte.
Den 19 Besuchern aus der Ukraine stehen die Tränen immer wieder in den Augen, wenn sie von der Arbeit, den Lagern, den Hungerrationen erzählen. „200 Gramm Brot, zehn Gramm Margarine“ hat Nikolaj Suchowoi am Tag bekommen. Die Zahlen vergisst er nicht - „bis zum Tod“, sagt Suchowoi.
In der Ukraine hat Suchowoi nie viel erzählt von der Zwangsarbeit. „Ich habe das immer verschwiegen: Das ist wie ein Fleck“, sagt er. Ein Makel. „Und heute denken die Jungen doch, das ist ein Märchen.“
Boris Kalaschnikow wollte vor allem eine Arbeitsbestätigung von Daimler-Chrysler für seine Arbeit bei Vorgänger Borward, um seine Rente aufzubessern. Das Stück Papier hat er nicht bekommen. Er schüttelt mit dem Kopf als er hört, dass alle Akten vernichtet wurden. Pünktlich 15 Jahre nach dem Konkurs von Borgward wurden die Akten 1976 weggeschmissen.
Fast täglich kommen Briefe an das Staatsarchiv mit der Bitte um eine Arbeitsbestätigung. Die Quellenlage ist schlecht. Bei glaubhaften Aussagen stellt Leiter Hartmut Müller die Bescheinigungen trotzdem aus. Auch für Kalaschnikow.
Geld für ihre Arbeit hatten die meisten Ostarbeiter nie gesehen. Die Debatte um die Entschädigung der Zwangsarbeiter verfolgen die meisten von ihnen. „Aber die diskutieren nur“, sagt Nikolaj Suchowoi: „Vielleicht kriege ich irgendwann mal was, dann bin ich nicht mehr am Leben“. pipe
(siehe auch Interview Seite 22)
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