Das Hirn, von Frauen weich gekocht

■ So trist kann Killer-Alltag sein: Luis Sepúlvedas „Tagebuch eines sentimentalen Killers“

Ich hätte nicht übel Lust gehabt, ihm den Lauf einer Fünfundvierziger in den Nacken zu drücken

Wie professionelle Killer arbeiten, leben, sprechen und denken, was sie trinken, wovon sie träumen und mit welchen Frauen sie sich abgeben, wird wohl immer ein Geheimnis professioneller Killer bleiben. Sie wären die einzigen kompetenten Kritiker von Krimis, in denen professionelle Killer aus dem Nähkästchen erzählen, wenn es in solchen Krimis um Realitätsnähe ginge und nicht hauptsächlich um ein Spiel mit den erzählerischen Versatzstücken und stilistischen Mitteln des nun doch schon reichlich angejahrten Genres.

Es ist unwahrscheinlich, dass der exilierte Chilene und ehemalige Unesco-Mitarbeiter Luis Sepúlveda sich im Profikiller-Milieu besser auskennt als ein gewöhnlicher Kinogänger, der ja auch nicht beurteilen kann, ob der eiskalte Engel Alain Delon und der Profi Léon dem blühenden Leben oder nur der blühenden Fantasie irgendwelcher Drehbuchautoren entsprungen sind.

In Sepúlvedas „Tagebuch eines sentimentalen Killers“ berichtet ein Auftragsmörder von seinem vermutlich letzten und furchtbarsten Job und spricht dabei nicht wie ein Killer zu seinesgleichen, sondern wie ein durchtriebener Autor von Kriminalromanen zu seiner verspielten Leserschaft: „Der Tag fing schlecht an, und spät. Als ich in Madrid landete, war es höllisch heiß. Der Taxifahrer, der mich ins Palace brachte, ging mir mit seinem aufdringlichen Geschwätz über den Europacup auf die Nerven. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, ihm den Lauf einer Fünfundvierziger in den Nacken zu drücken, damit er endlich das Maul hielt; aber ich hatte kein Schießeisen dabei, und außerdem legt man sich als Profi nicht mit Kretins an, auch wenn sie als Taxifahrer daherkommen ...“

Auf den Taxifahrern hackt der Erzähler noch des Öfteren herum, und sie haben es wahrscheinlich verdient. Doch neu daran ist nichts. Der Tonfall ist von gestern, der Plot ist von vorgestern, und die Pointe ist von Anfang an schmerzhaft deutlich vorhersehbar: Was wird ein Profikiller, wie er im Buche steht, wohl tun, wenn ihm eine Frau „das Hirn weich gekocht“ hat und seinem Arbeitserfolg im Wege steht?

Mit Mühe und Not hat der Verlag die Erzählung auf knapp über 80 Druckseiten gestreckt und ein schmales Buch daraus gemacht. Und das war eine kluge Entscheidung. Denn Sepúlveda versteht es, alle logischen und ästhetischen Einwände, die sich gegen seinen Kurzstreckenthriller erheben ließen, mit ein paar beiläufigen Worten zu entkräften: „Wo, zum Teufel, kommen die Taxifahrer her? Der, der mich vom Hotel zum Kongresszentrum brachte, hatte einen Schnauzbart von den Dimensionen eines Fahrradlenkers, und kaum hatte ich meinen Hintern auf die mit einem Plastiküberzug geschützte Rückbank gesetzt, redete er mit dem ganzen Eifer eines Katecheten auf mich ein ...“

Als Schauplätze der Handlung dienen unter anderem die Avenida Baja California, die Rambla de Alfonso Reyes in Mexiko-City, das Sheraton in Istanbul, der Jardin de Luxembourg, der Flughafen Charles de Gaulle und sogar das Hotel Frankfurter Hof. Das klingt alles sehr nach Simmel, aber Sepúlveda kann es besser. Er gibbert nicht nach dem Savoir-vivre.

Er zeigt die Tristesse des Killer-Daseins so, wie man sie sich, wenn man kein Schießeisen dabei hat, nicht einmal als ausgekochter Kinogänger vorzustellen pflegt, und Willi Zurbrüggen hat all das sehr schön und trocken übersetzt: „Um zwei Uhr nachmittags hielt ein Pizzalieferant vor dem Haus. Er übergab drei Schachteln. Drei. Und ich hatte nur den jungen Mann eintreten sehen. Wer waren die anderen beiden Essen?“ Eine gute Frage. Sepúlveda weiß die Antwort.

Gerhard Henschel

Luis Sepúlveda: „Tagebuch eines sentimentalen Killers“. Übersetzt von Willi Zurbrüggen. Hanser Verlag 1999. 86 Seiten. 16,80 DM