Was ist geblieben von der DDR?: „Bin kein Berufsossi“
■ Frank Sander (24) schaut sich täglich die „Chronik der Wende“ im Fernsehen an
Außer einigen Fernsehsendungen vom ORB, der „Aktuellen Kamera“ von vor zehn Jahren, Club-Cola, der super Thüringer Rostbratwurst, dem tollen Alex und dem grünen Ampelmännchen ist die Ostmentalität übriggeblieben. Das heißt, die vielen Berufsossis, die sagen, früher war alles besser. Das sind mehr ältere Leute, die beispielsweise im Staatsratsgebäude als Bedienung gearbeitet haben, wie meine Tante. Die wählt natürlich PDS, ist ja logisch. Wenn Erich nach dem Essen gesagt hat, „Danke, mein Mädchen, das ist nett, dass du mich bedient hast, die Königsberger Klopse schmecken gut“, das ist doch menschlich. Ich bin zwar kein Berufsossi, aber meine Auffassungen sind nicht grundlegend anders. Ich interessiere mich dafür, wie es früher war. Ich gucke mir jeden Tag um 0.50 Uhr auf ARD die „Chronik der Wende“ an. Ich bin ja Ossi, aber leider war ich damals erst 14 Jahre und habe kaum etwas mitbekommen.
Auf jeden Fall haben mich die 14 Jahre Schule geprägt. Ich melde mich immer freundlich, bevor ich was sage. Das hat weniger mit Freundlichkeit als mit dem Verhältnis Lehrer/Schüler zu tun. Man könnte sagen, dass die westdeutschen Schüler viel offener erzogen worden sind und sich auch mehr zutrauen. Ich mache hier seit vier Monaten einen Straßenjob mit Zeitungsabonnements, um etwas aufzutauen. Und um mein Toningenieur-Studium zu finanzieren. Die Hemmschwelle ist immer noch da, aber ich nehme den Job als Möglichkeit, das abzubauen. Fast hätte ich Therapie gesagt. Es hat aber auch Vorteile. Bei einem Vorstellungsgespräch hat ein richtiger Ossi immer einengewissen Respekt vor seinem Vorgesetzten. Ich würde sagen, es sind fünfzig Prozent Vorteile und 50 Prozent Nachteile. Ich bin vom Elternhaus nicht zur Selbständigkeit erzogen worden. Im Gegenteil. Meine Mutter hätte es lieber, dass ich zu Hause wohne und eine Banklehre mache.
In der Musikszene gibt es überhaupt keine Vorurteile zwischen Ost und West. Da gibt es den Ost-HipHopper genauso wie den West-HipHopper, und alle sind gleich. Ich bin von dem Typus, dass ich keine Berührungsängste habe. In der Musik sind fast alles Westdeutsche, und das sind auch Freunde von mir. Ich lerne von denen und die von mir. Ich bin auf jeden Fall kein polarisierender Ossi. Aufgezeichnet: Barbara Boll wahn de Paez Casanova
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