: Die Mädchen und der Fotograf
Das kurze, doch entscheidende Rendesvouz mit einem kenntnisreichen Fotografen, das Schulmädchen vom Fluch der Anonymität befreien soll: Juergen Teller „Go-Sees“. Ein ultimatives Kompliment ■ Von Ulf Erdmann Ziegler
Der Ausdruck go-see meint nicht das Ritual des Vorbeischauens, den ersten Kontakt von Model und Fotograf. Go-Sees sind auch die Mädchen selbst, die sich Hoffnung machen, durch ihrAufkreuzen einen neuen Wirkungskreis zu finden, wie man früher sagte. Go-Sees sind das Leben als Töchter, Blockflötistinnen und MTV-Glotzer leid und bieten ihre ganze Erscheinung bei einem sehr kurzen Rendezvous einem kenntnisreichen Fotografen dar, der sie vom Fluch der Anonymität erlösen und in das System der Starlets und der Stars einspeisen soll. Der enorme, schleichende Witz des fetten Buchs von Juergen Teller, das nach den hunderten von Objekten, die zu sehen sind, „Go-Sees“ heißt, ist, dass der Traum dieser Mädchen mit dem Erscheinen des Buches schon wahr geworden ist: Sie heißen Deborah Ramsey, Vesna, Geraldine, Jane Stenson, Caitlin, Cheyenne und Deidre Wolf. Sie sind fotografiert worden von einem Star der Fotografenszene, Juergen Teller, und ihre Bilder sind nachweislich publiziert.
Um sich der kniffligen Fragen visueller Dramaturgie zu entledigen, hat Teller seinen Schinken über die Superamateurmodels chronologisch ausgelegt, beginnend am 8. Mai 1998 und endend am 12. April 1999. An manchen Tagen wurde gleich ein Dutzend bestellt, dann gibt es wieder Pausen, in denen die Jahreszeit offensichtlich vorangerückt ist.
Der Fotograf Juergen Teller lässt seine Go-Sees nicht vor ins Studio oder verwendet jedenfalls das Standardtestbild in diesem Projekt nicht. Stattdessen fotografiert er sie vor der Tür seines Studios im Parterre, auf der geschrieben steht: „Please knock – doorbell broken“, ein dramaturgischer Witz, der den Laienanteil des Ganzen herauskehrt. Die Tür mit der großen weißen Nr. 1 darauf, verwittert zu Altrosa, wird als Schwelle interpretiert, an der das Straßenleben eines Mädchens aufhört und irgendeine Sorte von Verkaufen anfängt. Die porno-rot lackierten Fingernägel Zanettas (30. März 1999) zeigt Teller im Blitzlicht, alligatorhaft gegen die Fläche der Tür gespreizt, während er das südländische Gesicht der vielleicht Siebzehnjährigen in leichter Unschärfe, modern angeschnitten, ins Hochformat einfügt. So wird klar, dass der Fotograf die Masche der Mädchen von ihrem Wesen zu trennen in der Lage ist. Manchmal benutzt Teller die Tür, um ins Atelier überzuleiten, aber meistens steht er selbst auf der Schwelle, um seine Fast-Models als Gegenschuss einzufügen ins Straßenleben. Unwillkürlich denkt man an Londoner Straßenfotos mit den Beatles und den Stones.
Bei einem Minimum an Drumherum weiß der Fotograf seine Figuren perspektivisch recht abwechslungsreich zu inszenieren. Kate, Typ Gymnasiastin in grauschwarzer Freizeitkleidung, stellt er am 29. März vor blaugrauen Autos auf. Die Fast-Monochromie verleiht der Blässe des Schulmädchens im gedämpften Kunstlicht einen noblen Zug. Camilla Rutherford, fünf Tage zuvor, lässt er gar nicht erst von ihrem Fahrrad absteigen, um mit dem dunkelhaarigen Mädchen im Wintermantel bei Dämmerung ein Pariser Flair zu erzeugen; es wird eine Rohmersche Figur. Während er bei den unbeschwerten jungen Frauen den Glanz der Augen sichtbar macht, konterkariert er beklommene Ladies durch eine gründliche Portion Welt-zum-Anfassen. Dazu wird auch der eigene Mercedes eingesetzt, auf dessen Haube Carolin Park Stiletto-Punk spielen darf oder auf dessen Rücksitz – gesehen von außen, mit den Augen des Paparazzo – drei gelangweilte Tussis abgeschleppte Groupies darstellen müssen. Eine hält ihren Teddybär im Arm. Um den Glamour auf Null herunterzufahren, hat es Teller mit einem matten Schwarzweißbild gut sein lassen.
Blätternd wird man unwillkürlich zum Richter im Reich der Schönheit. Man wundert sich schon, dass Mädchen mit Ohren wie Kochlöffeln, Kinns wie Stoßstangen und Augenpartien mit dem Charme von Batman sich berufen fühlen, in die Fußstapfen Linda Evangelistas zu treten. Die feineren unter diesen Gesichtern mögen bestens geeignet sein, um gleichaltrigen Jungen Herzrasen zu machen – auf der Bühne der Stellvertreterinnen wirken sie mirakulös deplatziert. Mit zwölf oder dreizehn Jahren sowieso.
Der Fotograf hilft uns zu sehen, was wir sehen sollen. Niemals würde er ein gut gebautes Mädchen mit sicherem Gang und einem physiognomischen Geheimnis in die Normalität zurückblitzen. Im Gegenteil, aus seinen grotesken Inszenierungen mit Kate Moss und Kristen McMenamy wissen wir ja, dass Models nicht davon leben, dass sie aus Ebenholz geschnitzt wären. Sondern davon, dass ihr Habitus den Status des Unangreifbaren erreicht, sich irgendwie verselbstständigt hat.
Das Buch ist ein Kompendium der Teen-Moden, in dem vom Lodenrock bis zum Negligee alles auftaucht, von dem Mädchen glauben, dass es ihre Attraktion steigere. Was noch tiefer ins Fleisch des Betrachters schneidet als der Missgriff in Bezug auf die Fähigkeit, „Modell“ (also Vorbild) zu sein, ist das Versagen so vieler Mädchen, auch im alltäglichen Sinne eine passable Figur zu machen. Gelbe Lidschatten, schiefe Ponys, verrutschte Seidenblusen und auf piekfein drapierte Kaschmirschals: Die meisten Go-Sees haben noch nicht einmal eine blasse Ahnung davon, wie man die Produkte zur Anwendung bringt, die sie annoncieren wollen.
Insofern liegt Teller richtig, wenn er ihnen den Platz im Studio nicht einräumt, sondern sie einrahmt im Ambiente einer völlig unbegründeten Hoffnung. Er sieht diese Mädchen als Produkt der Straße, und wo sie Produkte ihrer Familien – und deren Ehrgeiz – sind, hat er sich ein Herz gefasst und die Familie oder den stolzen Papi gleich mit ins Bild genommen. Wunder der Empirie: Gerade diese Mädchen, dem Testblick durch ihre Begleitung halbwegs entzogen, wirken recht entspannt und schneiden deshalb gut ab. An den Erwachsenen bleibt allerdings der Ruch des Kupplers hängen.
Sieht man Juergen Teller als erbarmungslosen Soziologen, wären die Mädchen als publizierte Go-Sees stigmatisiert. Der Fotograf aber weiß um die Doppelgesichtigkeit seines Gewerbes. Er verschafft den Mädchen ihre berühmten fünfzehn Minuten. Dass er, in seinem theaterhaften Setting zwischen Tür und Angel, keine von ihnen schönt, könnte man sogar als ultimatives Kompliment betrachten. Er hat sich nämlich bei jeder Einzelnen überlegt, was sie ausstrahlt und was sie bewegt; den Irrtum der Model-Option eingeschlossen. Hart an der Grenze zum Zynischen, ist Tellers Buch über eine unbekannte Nische des Modelbetriebs zur Flüstertüte eines Betriebsgeheimnisses geworden.
Der englische Gestalter hat den goldenen Leinenumschlag mit einer Typo prägen lassen, die Vorspänne von Nazi-Filmen karikiert, ein widerspenstiger Scherz auf die Rolle des Deutschen in London, dessen Ästhetik mit den martialischen Figuren unter steilen Lichtern – wie sie seit Jahren im Umlauf sind – nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Juergen Teller: „Go-Sees“. Scalo Verlag, Zürich 1999, 98 DM
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