: Österreich ist unregierbar
■ Die ÖVP zeigt sich fest entschlossen, aus der großen Koalition auszusteigen
Wien (taz) – Wer soll Österreich regieren? Diese Frage bereitet derzeit Bundespräsident Thomas Klestil und Noch-Bundeskanzler Viktor Klima (SPÖ) schlaflose Nächte. Denn nachdem sich sein bisheriger Koalitionspartner ÖVP in die Opposition verabschiedet hat, wird sich Klima schwer tun, ein arbeitsfähiges Kabinett auf die Beine zu stellen. Mit Jörg Haiders FPÖ hat er jede Zusammenarbeit ausgeschlossen, und die Grünen sind als Mehrheitsmacher zu klein.
Von Neuwahlen, die keiner will, bis zu einem direkt vom Bundespräsidenten einberufenen Präsidialkabinett, das es noch nie gegeben hat, reichen die Spielvarianten für den Ausweg aus einem scheinbar ausweglosen Dilemma.
Die ÖVP hat die Weichen für den Gang in die Opposition gestellt. Der Parteivorstand der christdemokratischen Partei zog gestern die Konsequenz aus dem offiziellen Wahlergebnis, das ihr knapp den dritten Platz bei den Nationalratswahlen vom 3. Oktober zuweist. ÖVP und FPÖ haben beide 52 Sitze gegenüber 65 der SPÖ und 14 der Grünen. Für den bisherigen ÖVP-Fraktionschef Andreas Khol öffnete sich durch dieses ex aequo ein Hintertürchen in die Regierung. Doch Parteichef Wolfgang Schüssel will davon nichts wissen. Schüssel interpretiert das Wahlergebnis so, „dass jeder bei sich selber beginnen muss“, sich zu verändern. Die Fortsetzung der bisherigen Koalition sei dafür nicht die geeignete Form.
Der Wählerwille ist kryptisch und lässt wohl jede Auslegung zu. Finanzminister Edlinger hat seine eigene Erklärung für den Aufstieg der FPÖ: „Es ist einfach, gegen alles zu sein und überall anders zu reden, wie das der Herr Haider tut. Ein Krokodil ist offenbar gefragt, aber man will sich nicht von einem Krokodil regieren lassen.“ Und Bundeskanzler Klima fühlte sich bemüßigt, vor der Auslandspresse die FPÖ-Wähler in Schutz zu nehmen. Er stelle sich vor Österreich, „nicht aber vor Jörg Haider und seine Crew“.
Vorerst kann die alte Regierung interimistisch weiterwursteln. In der SPÖ hofft man, dass die ÖVP früher oder später umfällt und sich zurück in die Zweckehe locken lässt. Doch sollte mittelfristig keiner der Parteichefs der Aufgabe gewachsen sein, dann könnte der Bundespräsident von einer Möglichkeit Gebrauch machen, die in der Zweiten Republik noch nicht erprobt wurde. Die Verfassung erlaubt es ihm, einen Kanzler und Minister eigener Wahl zu ernennen, ohne auf die Parteien Rücksicht nehmen zu müssen. Dieses Präsidialkabinett müsste allerdings die Zustimmung des Parlaments finden. Ralf Leonhard
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