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Spuren jüdischens Lebens in Czernowitz

■ Neu im Kino: „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ von Volker Koepp

Die beiden ergänzen sich ideal: Der immer etwas gebeugt und schwermütig wirkende Pessimist Herr Zwilling, der scheinbar nur Hiobsbotschaften verkünden kann, und die sehr agile 90jährige Frau Zuckermann, die trotz eines Lebens voller tragischer Schicksalsschläge optimistisch dagegenhält: „Ich lass das nicht gelten, nochmal einen Hitler oder Stalin wird es nicht geben.“ – „Es kommt wahrscheinlich ein schwerer Winter“ antwortet Herr Zwilling.

Die beiden halten diese Zwiegespräche schon seit Jahrzehnten. Jeden Abend kommt der Herr Zwilling die Frau Zuckermann besuchen: „Er ist mein Ritter von der traurigen Gestalt“, sagt sie, und er sitzt in ihrer Stube, als wäre es für ihn der einzige sichere Ort auf Erden. Die beiden gehören zu der kleinen jüdischen Gemeinde in Czernowitz, das heute in der Ukraine liegt, aber in diesem Jahrhundert schon österreichisch, rumänisch, sowjetisch und von den Deutschen besetzt war.

Der deutsche Dokumentarfilmer Volker Koepps wollte eine filmische Spurensuche des jüdischen Lebens in diesem Städtchen machen, und ist dabei zum Glück auf dieses Paar gestoßen. Immer wenn sich der Film von Herrn Zwilling und Frau Zuckermann trennt, zerfasert er in Episoden, deren Sinn sich manchmal nur sehr mühsam erschließt. Deshalb wirkt der Film mit seinen 126 Minuten um mindestens eine halbe Stunde zu lang – oft hat man das Gefühl, Koepp mochte einfach nicht von den Szenen wegschneiden, in denen etwa einige fromme Juden in der armseligen Synagoge herumwerkeln, oder in denen eine alte Frau im Wald am Grab ihres Vaters weint.

Manchmal klappt dieses einfache Hineinschauen auch sehr gut. Etwa wenn Koepp zeigt, wie schäbig die Krankenversorgung im Ort ist (drei Schwestern verteilen Pillen), und wenn Zwilling danach erzählt, dass seine Familie eine Ärztedynastie war, und Verwandte von ihm nach der Flucht aus Czernowitz in New York und Jerusalem zu Koryphäen wurden. Da wird die Vernichtung der mitteleuopäischen jüdischen Kultur durch einen raffinierten Filmschnitt auf den Punkt gebracht, aber viele andere von Koepps Spuren bleiben obskur. Doch nach etwa zehn Minuten ukrainischer Tristesse kommt der Film zum Glück wieder zu seinen beiden Helden zurück, und die sind nicht nur das personifizierte Schicksal der Juden von Czernowitz, sondern auch noch sympathisch, klug und unterhaltsam.

Sowohl der 70-jährige Herr Zwilling wie auch die 90-jährige Frau Zuckermann müssen noch als Lehrer arbeiten, um über die Runden zu kommen. Zwilling steht mit Leidensmiene vor der Tafel, und quält seine Schüler durch eine Chemiestunde (“Nennen Sie mir ein Alkaloid“), während Frau Zuckermann sich beim Nachhilfeunterricht sehr angeregt mit einer Schülerin in Englisch über neue ukrainische Literatur unterhält. Die beiden sind ein Paradebeispiel dafür, wie unterschiedlich sich Menschen im Leben einrichten. Und dass sie beide unter den Nazis und der Sowjetherrschaft Fürchterliches erlebt haben, gibt jeder ihrer Handlungen, Erzählungen oder kleinen Gesten eine ganz eigene Tiefe.

Koepps große Leistung ist es, Frau Zuckermann und Herrn Zwilling entdeckt und zum Erzählen gebracht zu haben. Besonders Frau Zuckermann spricht ein wunderbares, fast klassisches Deutsch – es ist eine Freude, ihr zuzuhören. Um so bedrückender wirken dann Sätze aus ihrem Mund wie „Ich glaube nicht, dass es noch eine Frau gibt, die so viele Tote gesehen hat!“ Dass sie trotz solch einer bitteren Bilanz eine Optimistin geblieben ist, die uns Deutschen zum Ende des Films zu unserem neuen Bundekanzler gratuliert, ist eines der kleinen menschlichen Wunder, die Koepp in der langsam aussterbenden jüdischen Diaspora von Czernowitz entdeckt hat. Wilfried Hippen

Kino 46, bis Di jeweils um 20.30 Uhr

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