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Geschichten, die ich eben schrieb. Folge II: Der Kongress    ■ Von Joachim Frisch

Eigentlich war es ein gewohntes Bild zur Mittagszeit im Planten und Blomen, dem Park im Zentrum Hamburgs. Wie Asseln unter gelupften Blumenkübeln strömten graue Herren unter den Betonmassen des angrenzenden Congress-Zentrums hervor. Am Revers trugen sie alle rote Schildchen mit einem Logo und ihren Namen, eingeschweißt in Plastik, was sie aussehen ließ wie Herrenwäscheverkäufer im Kaufhaus. Sie hatten gerade gespeist und diskutierten nun angeregt zwischen Herbstblumenrabatten und Zirbelkiefern den letzten Vortrag und die wahren Gründe der steilen Karriere des Vortragenden – für uns passionierte Besucher des Parks normalerweise eine vertraute Szenerie.

Doch dieser Tag im Oktober 99 war irgendwie anders. Sicher, es fehlten die kongressüblichen Japaner, doch da war noch etwas anderes. Die Herren wirkten deplatziert, wie aus einer anderen Zeit zu uns gebeamt. Zwar trugen sie Anzüge wie richtige Kongressler, doch die waren 15 Jahre alt und spannten überm Schmerbauch. Die Frisuren waren völlig aus der Mode, die Ohren halb von akkurat gekämmten Haaren bedeckt wie bei Münteferings Franz, die Gesichter nicht gebräunt, sondern gerötet, die Haltung nicht im Fitnessstudio antrainiert, sondern ungelenk. Am befremdlichsten muteten die Gesprächsfetzen an, die durch die Phyllo- und Rhododendren drangen. Anachronistische Begriffe wie „Solidarität“ und „Ausbeutung“, „Genosse“ und „Urabstimmung“ tauchten auf, skurrile Fragmente wie „dem Kapital Paroli bieten“ und „Oskar die Stange halten“. Ja, Sie haben es erraten: Hier war die vom Aussterben bedrohte Spezies der Gewerkschafter zugange – sogar ihre charakteristischste Unterart: die Männer von der IG Metall.

Mir wurde warm ums linke Herz, als ich mit ansehen musste, wie diese Kerle aus einer anderen Zeit mit ihren Halbschuhen vom Sommerschlussverkauf, den weißen Nyltesthemden, den zu kurzen Ärmeln, den zu dicken Nasen im hanseatisch-großbürgerlichen Planten und Blomen, der sonst um diese Zeit von den unvermeidlichen Wichtigtuern bevölkert wird, herumstapften wie zum Leben erweckte Brontosaurier aus Pappmaché im Jurassic-Park. Ich verspürte den Wunsch, ihnen zu helfen, sie zu füttern – quatsch: zu unterstützen, ihnen ein paar aufmunternde Worte zuzurufen, vielleicht: „Die Internationale lebt“, oder sie einfach anzustimmen.

Ich beschloss, nicht zu jammern, sondern zu handeln, packte mir ein Prachtexemplar, wurde TV-Moderator, rief via Bildschirm die Gesellschaft auf, – wie es einst Professor Grzimek für die Pinselohräffchen tat – etwas gegen das Aussterben der Metall-Gewerkschafter zu tun, platzierte meinen putzigen Metaller neben mich ins TV-Studio und ließ ihn von Zeit zu Zeit aus dem „Kapital“ von Karl Marx vorlesen. Daraufhin setzte eine Welle der Sympathie für die IG Metall und ihre gerechte Sache ein, die großen Unternehmen vergesellschafteten ihre Betriebe, die Aktionäre spendeten ihre Dividenden, Oskar Lafontaine gründete eine wirklich sozialistische Partei und wurde Bundeskanzler, Deutschland wurde das erst postsozialistische sozialistische Land der Welt, und seine Landschaften erblühten im Duft und Glanze roter Nelken. Na also, es geht doch. Warum denn nicht gleich so?

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