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Russen weiten Sicherheitszone aus

Bombardements in Tschetschenien dauern an. Vertreter in Grosny sprechen von insgesamt 2.000 Toten. Joschka Fischer zu Gesprächen in Sankt Petersburg  ■   Von Barbara Kerneck

Moskau (taz) – Das Zentrum der Kriegshandlungen in Tschetschenien verlagert sich im Laufe dieser Woche in die Regionen südlich des Flusses Terek und nähert sich der Hauptstadt Grosny. Ziel der föderalen Truppen ist die Eroberung ganz Tschetscheniens.

General Wiktor Kasantzew, Oberkommandierender der Truppen im Nordkaukasus, sagte, seine Truppen seien dabei, die Sicherheitszone auszuweiten, von der es ursprünglich geheißen hatte, sie solle nur die drei Provinzen nördlich des Terek umfassen. Nun betonte Kasanzew: „Wir gehen, wohin immer wir wollen, wann immer wir wollen, und bleiben dort, solange wir müssen.“

Fortgesetzt wurden gestern die flächendeckenden Bombardierungen, besonders intensiv in der südlichen Bergregion, in der die Bandenführer Schamil Bassajew und Hattab ihre Hauptquartiere und Ausbildungslager unterhalten. Dabei wurden 36 Menschen getötet und 130 verletzt. Insgesamt wurden bei den Angriffen der russischen Luftwaffe nach Angaben des Generalstabs in Grosny bislang mehr als 2.000 Zivilisten getötet und 8.000 Menschen verletzt. Ein Fünftel aller Häuser und vier Fünftel der tschetschenischen Industrie wurden den Angaben zufolge zerbombt. 40 Dörfer seien vollkommen zerstört worden. In der Nähe Grosnys wurde gestern ein russisches Flugzeug abgeschossen. Der Pilot sei getötet worden, teilte der Generalstab der tschetschenischen Truppen mit.

Unterdessen halten sich die islamistischen Fundamentalisten vor den vorrückenden föderalen Bodentruppen vorläufig an eine Ausweichtaktik. Auch die offiziellen tschetschnischen Truppen sind nach Auskunft von Präsident Aslan Maskhadow Mitte der Woche sieben bis acht Kilometer zurückgewichen, und zwar nach heftigen Kämpfen um das Dorf Goragorsky, einem strategischen Punkt nahe eines Berggipfels etwa 50 Kilometer westlich von Grosny.

Vertreter des russischen Generalstabs verlautbarten, man habe dort an die 200 bis 300 Banditen eingekreist. Ob es gelang, diese gefangenzunehmen oder zu töten, wurde bisher nicht bekannt.

Der von Russland meistgesuchte Mann in der Region, Schamil Bassajew, tauchte jedenfalls am Mittwoch gut gelaunt in Grosny auf und gab ausländischen Journalisten ein kurzes Fernsehinterview. Bassajew sagte, er wolle damit beweisen, dass er noch lebe, und versprach außerdem, dass sich sein Krieg mit Russland zu einem langwierigen bewaffneten Konflikt auswachsen werde.

Das Material, das die russischen Fernsehsender unter der strikten Zensur des Verteidigungsministeriums aus der Sicherheitszone bringen dürfen, besteht aus Aufnahmen von Häusern und Gärten, kaum aus Interviews mit EinwohnerInnen der besetzten Dörfer, aber dafür umso mehr Interviews mit russischen Offizieren.

Demzufolge verlassen die Soldaten der Armee die Zone, um sich jenseits des Terek zum neuen Angriff zu formieren. Nach ihnen rücken Sondereinheiten der Miliz und Anti-Terror-Einheiten ein. Das russische Oberkommando betont, dass man zwischen militärischen und zivilen Aufgaben unterscheiden könne. Die so genannte Tschistka, die Reinigung der Dörfer von Waffen und Rebellen, sei eine polizeiliche Aufgabe. Sie erfordere Durchsuchungen und Verhöre aller Personen. Verdächtige müssten auf Spuren untersucht werden, die der Umgang mit Waffen hinterlässt. Gleichzeitig werde so das Hinterland der Armee gesichert.

Bundesaußenminister Joschka Fischer wollte gestern in Sankt Petersburg mit seinem russischen Kollegen Igor Iwanow zusammenkommen, um über die Sicherheitslage in Europa und den Kaukasus zu sprechen. Iwanow ließ mitteilen, er sei zu Gesprächen über die kriegerischen Auseinandersetzungen im Kaukasus bereit.

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