Ein Schläfchen in Ehren

Einfache Freuden, neue Natürlichkeit und echte Gefühle: Die Tindersticks verzichteten bei ihrem Konzert in der Columbiahalle auf Pomp und Budenzauber  ■   Von Gerrit Bartels

Ein ungewohnter Anblick, den die Tindersticks ihrem Publikum in der Columbiahalle bieten: Sie haben eines ihrer Markenzeichen in der Garderobe zurückgelassen, ihre Anzüge. So als wäre die Party schon zu Ende, tritt die sechsköpfige Band an diesem Abend ganz leger in Hemd (das bei Sänger Stuart Staples sogar über der Hose hängt), Hose (zumindest mit Bügelfalte) und Doc Martens (in Weinrot und Schwarz) auf die Bühne, um ohne viel Aufhebens ihr Konzert zu beginnen. Was die Tindersticks und ihre siebenjährige Bandgeschichte angeht, hat das was geradezu Revolutionäres.

Denn auch wenn die zumeist schwarzen Zweireiher öfters recht schlampig am Körper anlagen, dokumentierten die Tindersticks solcherart gewandet doch gerne ihren Willen zum Stil und zu Bedeutungen, die über ihren orchestralen Dunkelkammer-Pop hinauszeigten. Ästhetizismus, Dandytum und 19. Jahrhundert schrieb man ihnen auf die eine Seite des Band-Stammbuchs, Melancholie, Verzweiflung und postmoderne Verlorenheit auf die andere. Eine nicht uninteressante Mischung, die für produktive Missverständnisse sorgte und passionierte Melancholiker genauso anlockte wie Leute, denen es wirklich schlecht ging, die Trost suchten. Wirklich sicher aber konnten sich die Fans der Tindersticks nie sein. War jemand wie Sänger und Songwriter Stuart Staples nun ein echter Trauerkloß, der wirklich schwer an der Welt litt, möglicherweise gar bald an ihr zu Grunde gehen sollte? Oder war er vor allem ein geschickter Poser?

Doch mittlerweile scheinen sich die Tindersticks in diesem durchaus gewollten Schwebezustand nicht mehr wohl zu fühlen, scheinen Auftritte mit einem großen Orchester und in bestuhlten Sendesälen, Scharen von alternden Cure-Fans und bergeweise Liebesbriefe auf Büttenpapier eine Last geworden zu sein.

„Simple Pleasures“ heißt ihr neues Album, auf dem Cover ist die Silhouette einer schwangeren Frau abgebildet, und Albumtitel und Cover wollen bedeuten: Hier findet jetzt wirklich Leben statt und kein düsteres Kunstwollen. Und mit einiger Anstrengung hört man auch in den Songs eine neue Natürlichkeit heraus: Zwei Backgroundsängerinnen sorgen für den Soul, Stuart Staples versucht mit seiner gewohnt schimmeligen Stimme, nicht ganz so tief in dunklen Kammern zu croonen, und die Songs sind etwas weniger üppig als sonst instrumentiert.

Das mag alles Konzept sein, doch die Tindersticks bleiben halt doch die Tindersticks, also immer gleich. Die Atmosphäre in der Columbiahalle erinnert an diesem Abend eher an einenTheatersaal als an ein schwitziges Rockvenue. Freundlich beklatscht das Publikum die Vorband Arab Strap, und genauso freundlich, leise und milde ist der Applaus für jeden Song der Tindersticks. Die aber beweisen, wie begrenzt doch ihre Ausdrucksmittel sind.

Man kann sich nicht ganz des Gefühls erwehren, nur einen einzigen Song von ihnen zu hören. Es geht stimmungsmäßig weder rauf noch runter, weder nach rechts noch nach links. Weder rockt es, noch wird es auch nur einmal wirklich still, leise, dunkel oder anders. Schwingungsarm nennt man so was. Die Band spielt auf einem gleich bleibenden Level, Stuart Staples ist gleich bleibend konzentriert mit sich und seinen Lyrics beschäftigt, das aber nicht unglaubwürdig, und ein geradezu gewagtes Experiment scheint zu sein, wenn der Geigenspieler mal sein Instrument weglegt und sich an ein zweites Keyboard setzt.

Da tut sich nicht viel, da wiegen sich alle wohlig in den Armen ihrer Partner (wer hat gesagt, die Tindersticks wären eine Band für Singles?), und da ist man fast geneigt, auch mal ein Schläfchen dazwischenzuschieben. Wenig Pomp, wenig Pose, viele echte Gefühle, viele mittelmäßige Gefühle: Die Tindersticks wollten anscheinend die Gemütsverfassung ihres Publikums nicht aus einem möglicherweise hochgradig fragilem Gleichgewicht bringen.