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Linker Leutnant der Reserve

■  Volker Schröder, bekannt als der Marathonmann mit der „Igel-Fahne“, hat das Bundesverdienstkreuz erhalten: Für sein Engagement zur Erinnerung an die Märzgefallenen von 1848 und die Pläne, ihnen den Platz am Brandenburger Tor zu widmen

Volker Schröder hat ein eher gespaltenes Verhältnis zu Orden und Ehrenzeichen. „Wie jeder aufgeklärte Mensch.“ Aber „weil's der Sache dient“, durfte Kulturstaatssekretär Lutz von Pufendorf Volker Schröder das Bundesverdienstkreuz verleihen.

Die „Sache“ ist die „Aktion 18. März“, die Volker Schröder 1978 mit einer Hand voll FreundInnen gründete, um öffentlich an deutsche demokratische Traditionen zu erinnern. Am 18. März 1848 hatten Berliner BürgerInnen und ArbeiterInnen die Armee des preußischen Königs im Barrikadenkampf besiegt. Der König musste seinen Hut vor den Särgen der Märzgefallenen ziehen.

Diese Freiheitskämpfer der Revolution von 1848 wollte der linke Leutnant der Reserve im deutschen Geschichtsbewusstsein verankern, einen gesamtdeutschen Feiertag am 18. März initiieren: der 18. März statt des 3. Oktobers sollte Nationalfeiertag werden.

Für den 1942 geborenen Schröder geht es um nationale Identität, auch wenn viele das altmodisch finden. Im Jubiläumsjahr 1998 scheiterte eine von der Bezirksverordnetenversammlung Mitte einstimmig beschlossene Umbenennung des „Platz vor dem Brandenburger Tor“ am Widerstand des Senats, obwohl die „Aktion 18. März“ Zustimmung aus allen politischen Lagern erfuhr. Unglaublich, aber wahr: Petra Pau (PDS) und Hanna-Renate Laurien (CDU) engagieren sich gemeinsam für die „Aktion 18. März“.

Und auf der Unterschriftensammlung für die Umbenennung des Platzes finden sich Namen wie die der Politiker Walter Momper, Günter Rexrodt, Renate Künast und Hans-Jochen Vogel sowie Martin Walser oder auch die Schriftstellerin Christa Wolf.

Zur Ordensverleihung möchte Volker Schröder 1848 Unterschriften quasi symbolisch präsentieren.

Zur Zeit arbeitet der gelernte Buchhalter im Berliner Mieterverein, von 1981 – 91 hat er die Finanzen der AL beziehungsweise der Grünen gemanagt.

Den Buchhalter sieht man ihm genauso wenig an wie den Ordenträger. Eher charakterisieren ihn die Vereine, denen er angehört: Mit seinem schwarzen Oldtimer, in dem er 1981 die ersten AL-Abgeordneten zum Rathaus Schöneberg (und letzten Sommer nach Italien) fuhr, ist Schröder Mitglied im BMW-V8 Club. Das steht für den Hauch von Luxus.

Dann gehört er zum Berliner Marathon Jubiläums-Club, im Jahr 2000 startet er das 20. Mal mit der Igel-Fahne. Das steht für Sport und Durchhaltevermögen. Natürlich ist Schröder noch Mitglied der grünen Partei.

Und weil Volker Schröder im Nebenberuf als Bürstenbinder ein Gewerbe hat, ist er Zwangsmitglied der IHK-Berlin.

Bürstenbinden ist für ihn „Ahnenverehrung“, denn Bürsten-Schröders gibt es schon seit 1866. Für Schröder sind selbst Bürsten politisch: mit Naturborsten, Rossschweifhaaren und einheimischen Hölzern protestiert der grüne Bürstenbinder gegen die Wegwerfgesellschaft. Bürsten-Schröders unbegrenzte Garantie auf Spinnenbesen gilt seit 1866.

Was dem Urgroßvater aus Lübeck ein stattliches Vermögen einbrachte, ist heute zwar eher Traditionspflege. Aber während andere im Urlaub Geld und Kohlendioxid verpulvern, verdient der Diplomkaufmann sich immerhin ein hübsches Taschengeld.

Im Sommer sitzt er bei schönem Wetter samstags auf dem Bio-Markt am Chamisso-Platz, zum Weihnachtsmarkt vom 27. 11. bis 6. 12. ist er in seiner Vaterstadt Lübeck, am 16. Oktober geht's auf den Stolper Herbstmarkt in Wannsee. Und zwischen den Bürsten liegt immer eine Unterschriftenliste für die „Aktion 18. März“. Und: Wir gratulieren. Ingeborg Kaufmann

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