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Korsett und Spitzenhöschen    ■ Von Wiglaf Droste und Ralf Sotscheck

Die Buchmesse 1999 stand ganz im Zeichen großer alter Männer. Heinz G. Konsalik und Günter Grass wurden für ihr Lebenswerk geehrt. Die beiden deutschen Exportschlager nahmen die vielfältigen Gunstbezeugungen gelassen entgegen, vor allem Konsalik blieb regelrecht kühl. Grass erklärte, er habe so lange geschruzt und gebaggert, um diesen Preis zu bekommen, nun könne er endlich in Frieden abtreten. Wäre ihm der Nobelpreis dieses Jahr allerdings nicht zugesprochen worden, schärfte der altersmeise Mann seinem verschreckten Publikum ein, hätte er eben noch länger genervt – notfalls so lange wie Ernst Jünger. Grund zur Erleichterung gab es aber keinen; Grass kündigte an, sich auch in Zukunft nach alter sozialdemokratischer Sitte in alles einzumischen, wovon er ebenfalls nichts verstehe.

Buchmessenhöhepunkt war der traditionelle Bauchwettbewerb am Wahrheit-Stand. Wer hatte in diesem Jahr den größten Belly zu bieten? Die strengen Punktrichterinnen Carola Rönneburg und Barbara Häusler schritten die Herrenriege ab, stießen hin und wieder ein bewunderndes „Donnerwetter“ aus und achteten darauf, dass niemand die Luft anhielt. So wurde der dramatisch verschlankt auftretende Michael Ringel enttarnt. Die Bewerbung des Berliner Verlegers Klaus Bittermann wurde wegen erwiesener arglistiger Magersucht abschlägig beschieden.

„Diesmal gewinne ich nicht“, prahlte Titelverteidiger Harry Rowohlt und zeigte vergnügt auf die Stelle, wo im Vorjahr noch eine gewaltige Bier-und-Whiskey-Plautze geprangt hatte, nun jedoch nur noch ein Loch zu sehen war. Das machte die Punktrichterinnen stutzig. Ein kurzer Griff unter das Jeanshemd bestätigte den Verdacht: Rowohlt steckte in einem Korsett. Eine Frankfurter Damenschneiderin hatte ihm am Morgen noch zwei Stahlschienen in das Schnürleibchen eingenäht, zwei muskulöse Japanerinnen hatten ihn, bäuchlings auf dem Boden liegend, in einem gewaltigen Kraftakt in das Korsett hineingezwängt. Der Delinquent gab sofort alles zu und wurde miederbedingt disqualifiziert.

Damit war der Weg frei für Ralf Sotscheck und Wiglaf Droste, die sich ein packendes Bauch-an-Bauch-Rennen lieferten. Sotscheck, der sich durch eisern konsequentes Nichtrauchen einen Vorteil von 18 Kilogramm erwirtschaftet hatte und mit dem Slogan „Ralle wird Millenniumsbauch und sonst keiner!“ in den Wettbewerb gegangen war, lag zunächst auch klar vorne. Mit Hilfe einer neungängigen Express-Infusion, die ihm der außer Konkurrenz teilnehmende Vincent Klink in letzter Minute ambulant verabreichte, gelang es Sotschecks Kontrahenten Droste jedoch, den Wahl-Iren auf der Ziellinie abzufangen. Strahlend zog er sich ein mit grünen Kleeblättern verziertes Spitzenhöschen über den Siegerranzen. Dies sei der fünfschrötigste Sieger, den sie je gekürt hätten, erklärten die Punktrichterinnen übereinstimmend und stolz. Droste erhielt den Ehrentitel „Belly of the Century“. Dem nur um ein Hundertstel Millimeter geschlagen Ralf Sotscheck gestattete die Jury großzügig, seine Wunschbezeichnung „Millenniumsbauch“ zu behalten. Harry Rowohlt aber wurde dazu verdonnert, sein Designer-Korsett in einer der nächsten Folgen der „Lindenstraße“ zu präsentieren.

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