: Wo Heldinnen „Eichmann“ heißen
■ Der Journalist der Zukunft ist skrupellos, brutal, verbittert und doch ein integrer Romantiker – jedenfalls als Kolumnist im Großstadt-Moloch von „Transmetropolitan“
Journalisten, wie wir sie aus Fernsehen, Film und Literatur kennen, mögen ja überwiegend sensationsgeile, korrupte Gestalten sein – verglichen mit Spider Jerusalem sind sie die Unschuld in Person.
Der Kolumnist der Zeitung The Word, Held der Comic-Serie „Transmetropolitan“, ist eine Mischung aus Medien-Hooligans wie Franz-Josef Wagner und Niels Ruf sowie einem verbitterten, Amok laufenden Terminator-Typen Ihrer Wahl. „Falls Sie mich wirklich lieben würden, dann würden Sie sich alle heute noch umbringen“, schreibt er in seiner Kolumne „Ich hasse diese Stadt.“
Dass Spider ein Misanthrop ist, kann man durchaus verstehen, denn in Transmetropolitan, einem gigantischen Großstadt-Moloch der nicht allzu fernen Zukunft, tragen Afroamerikaner Hakenkreuz-T-Shirts, heißen Frauenhelden mit Vornamen Eichmann, und als Streifenpolizisten arbeiten nicht Bullen, wie wir sie kennen, sondern monströse Kampfhunde. Und The Word-Kolumnist Spider hat meistens eine Knarre zur Hand – oder wenigstens einen sogenannten Darm-Disruptor, mit dem er z. B. den Präsidenten zum unkontrollierten Koten bringt, nachdem er mit ihm beim Wasserlassen geplaudet hat.
Trotz aller Skrupellosigkeit und Brutalität ist dieser Spider ein Romantiker, eine integre Figur, gemessen jedenfalls an den meisten Gestalten Transmetropolitans.
Spider Jerusalem war einst ein erfolgreicher Buchautor – bis ihm „die Fans und der Lärm und das Fernsehen und die ganze Scheiße“ derart zugesetzt haben, dass er sich in die Berge zurückgezogen hat, um dort wie ein Einsiedler zu leben. Fünf Jahre später erinnert ihn sein alter Verlag daran, dass er noch zwei Bücher zu liefern hat, für die der Vorschuss schon lange gezahlt ist. Und um die schreiben zu können, muss er in sein altes Leben zurückkehren. Dummerweise wird Spider schnell wieder so berühmt, dass er in einer Bar nicht mal mehr in Ruhe einen Drink nehmen kann, weil ihm der viel zitierte Mann von der Straße – „Du bis doch dieser Schreiberling, stimmt's?“ – auf die Pelle rückt. Die Ursache dafür ist eine Kolumne über einen Aufstand, während die Ereignisse direkt ins Redaktionssystem geschrieen und gleichzeitig über eine Art Web-TV live in die gesamte Stadt übertragen werden.
Die „Transmetropolitan“-Serie von Autor Warren Ellis und Zeichner Darick Robertson – sie umfasst bisher sieben Nummern – ist ebenso düster wie lustig. Und manchmal, gleichwohl selten, wird man sogar von einer leichten Melancholie ergriffen – dann, wenn die Comic-Welt für ein paar Minuten in Ordnung ist.
„Heute Nacht regnet es, der erste Regen, den dieser Bezirk seit Monaten gesehen hat“, schreibt Spider in einer seiner Kolumnen. „Meine Assistentin und ihr Boyfriend sind auf dem Balkon. Beide sind splitternackt und tanzen ..., und Kinder führen ungläubig staunende alte Leute an der Hand in den Regen hinaus.“
René Martens ‚/B‘ Warren Ellis/Darick Robertson: „Transmetropolitan“. Speed Verlag, 5,95 DM bis 9,95 DM. Erscheint monatlich.
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