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Viel Meinung ohne Folgen

■  In „Frontal“ wird heute zum 250. Mal politisch und weltanschaulich gezankt. Doch weder das ZDF noch die Masse der Zuschauer finden das Politmagazin noch spannend

Es reicht dem Zuschauer nicht mehr, sich an den neckischen Spielchen um die Hauserschen Befindlichkeiten zu delektieren

Vor sechs Jahren, also vor 250 Sendungen, waren die beiden eine echte Innovation – als Duo frisch, frech und auf die freundlichste Art boshaft gegen das Gegenüber. Ihr Magazin nannten sie „Frontal“ und verstanden den Titel auch im Hinblick auf ihre Moderationen programmatisch. Bodo Hauser und Ulrich Kienzle versteckten ihre Weltsichten gar nicht erst, sondern kultivierten ihre unterschiedlichen politischen Präferenzen. Der eine machte aus seiner Unionsnähe kein Hehl, der andere aus seinem Leiden an der Ära von Kohl & Co. ebenso wenig.

Das war für den Zuschauer gar nicht schlecht unterhaltend. Die Dialoge liefen stets nach gleichem Muster ab: Kienzle: „Hauser, die CDU wird derzeit nicht von Wählern gewählt, sondern von Nichtwählern.“ Darauf Hauser: „Und die SPD wird seit Monaten überhaupt nicht mehr gewählt – was ist schlimmer, Kienzle?“

Es war eine Zeit, als die Bundesrepublik noch satt von den Christliberalen regiert wurde und die Sozialdemokratie nicht ernsthaft auf eine Chance zur Macht hoffen durfte. Alles ging seinen nachwendischen Gang, die ideologischen Höfe in den TV-Anstalten waren auf das Feinste abgepinkelt.

Alles, ohne Ausnahme, was an politischen Magazinen gesendet wurde, war für den Zuschauer erwartbar. „Monitor“ und sein Klaus Bednarz klagten die Welt an; „Panorama“ vom NDR war auch in jeder Hinsicht verdächtig, nur nicht, besorgt und zustimmend über die Regierungsgeschäfte in Bonn zu berichten. Franz Alts „Report“ aus Baden-Baden hausbacken stirnrunzelnd über die Schlechtigkeit alles Irdischen berichtend; „Report“ aus München wiederum ließ nie ein gutes Haar an den Sozen und ihren Grünen. Entsprechend waren die Quoten: Das Genre des politischen Magazins, in den Sechziger-Jahren, zu Zeiten der meisten gesellschaftlichen Auf- und Umbrüche in der Bundesrepublik, Pflichtsendungen aller politisch Interessierten egal welcher Couleur, war auf diese Weise, wenn auch politisch strikt quotiert, auf den Hund gekommen. „Frontal“ schien 1993 diese Erwartbarkeit aufzubrechen. Hauser und Kienzle bewarfen sich mit Aperçus und machten ihre Witzchen, die den Wunsch des Publikums nach politischem Entertainment befriedigten.

Vor sechs Jahren, wie gesagt, schien die Ära Helmut Kohls ewiger als ewig zu dauern – was sich in der politischen Debatte niederschlug als Ende der politischen Debatte, bei der es wirklich um etwas geht, und als Geburtsstunde des öffentlichen Meinens auf anekdotischem Niveau. Beide Journalisten bedienten diesen Mechanismus: Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, ohne dass dies Folgen haben müsste. Seit vorigem Herbst wirkt „Frontal“ seltsam fade. Rot-Grün hatte es doch noch geschafft, den Kanaldeckel, auf dem Kohl und die Seinen standen, zu heben – weil es das Publikum so wollte. Und seither ist wieder etwas los in der Republik. Über Nacht sozusagen reicht es dem Fernsehzuschauer nicht mehr, sich an den neckischen Spielchen um die Hauserschen Befindlichkeiten in Sachen Kienzle und dessen Spitzen gegen den Kollegen Hauser zu delektieren.

Was nämlich offenkundig wurde, war dies: Kienzle und Hauser stritten sich nie um die echten Probleme. Was also vermisst wurde, war Aufklärung, war ein Fernsehen, welches nicht mehr Meinungen verbreitet, sondern Informationen aufbereitet. Da war nicht mehr viel Gunst übrig für zwei Journalisten, die sich auf den einstudierten Zank verstehen und mittlerweile auch auf das Schreiben von Kochbüchern: In Zeiten der Auflösung des sogenannten Reformstaus wirkt das womöglich zu unseriös.

Das wiederum ist keine Meinung. Vielmehr merkte auch das ZDF, dass „Frontal“ zum Quotenkiller geworden war: Kienzle und Hauser schafften zu wenig Zuschauer an, um das ihnen folgenden „heute journal“ mit den „Tagesthemen“ der ARD konkurrenzfähig zu halten. Nun merkt man auch auf dem Mainzer Lerchenberg, dass ein politisches Magazin, das nur über die Spielchen seiner Moderatoren, nicht aber über die Themen Gesprächsstoff bietet, irgendwie unzeitgemäß wirkt.

Senderintern, kein Wunder, steht „Frontal“ momentan unter scharfer Beobachtung, modern formuliert: Die Sendung wird evaluiert und konnte in Bälde aus dem Programm genommen werden. Aber ein Ende ist sowieso absehbar: Nächstes Jahr wird Ulrich Kienzle pensioniert. Einen Nachfolger für ihn, einen neuer Placebo-Counterpart Bodo Hausers, wird es, dem ZDF-Vernehmen nach, vermutlich nicht geben. Entscheidungen, was das politische Profil des Senders anbetrifft, müssen auch deshalb warten, weil Nikolaus Brender seinen neuen Job als ZDF-Chefredakteur erst im kommenden Frühjahr antritt. „Noch Fragen Kienzle?“ – „Nein, Hauser.“ Jan Feddersen

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