: Tauziehen um Osttimors Zukunft
■ Die Volksversammlung in Jakarta muss ein Gesetz verabschieden, das die Annexion der Halbinsel aufhebt
Jakarta (taz) – Geradezu flehend klang die Stimme von Präsident B. J. Habibie, als er die Indonesier aufforderte, Osttimor die Unabhängigkeit zu gewähren – „auch wenn es sehr bitter und traurig ist“. Jakarta müsse das Ergebnis des UNO-Referendums „akzeptieren und respektieren“, sagte Habibie am Wochenende vor der 700-köpfigen Volksversammlung, dem höchsten politischen Gremium des Landes.
In Jakarta werden in diesen Tagen historische Entscheidungen für die Zukunft der Region gefällt: Die Volksversammlung muss bis Mittwoch nicht nur darüber abstimmen, wer der neue Präsident oder die neue Präsidentin des Landes wird. Zuvor soll sie noch ein Gesetz verabschieden, das die Annexion der ehemaligen portugiesischen Kolonie Osttimor im Jahre 1976 rückgängig macht:
Erst danach wird Jakarta seine letzten Truppen aus der Inselhälfte zurückziehten, die es bislang noch als „27. Provinz“ betrachtet. Erst dann kann die UNO auch beginnen, eine Übergangsregierung in Osttimor, die Untaet genannt wird, einzurichten. UNO-Blauhelme sollen dann die internationale Friedenstruppe (Interfet) ablösen, die am 20. September in Osttimor landete. Und erst danach kann der Widerstandschef Xanana Gusmao nach Dili zurückkehren, wie er gestern in seinem australischen Exil erklärte.
Gusmao sagte in Darwin, die rund 9.000 Mitglieder starke Untaet werde voraussichtlich zwei bis drei Jahre in Osttimor bleiben. Zum Ende dieser Periode sollen die Osttimoresen zum ersten Mal in der Geschichte ihrer Region frei ihre eigene Regierung wählen.
Bis zuletzt versuchen die Gegner der Unabhängigkeit in Jakarta allerdings, das Ruder herumzureißen: So lief gestern der Chef einer Allianz pro-indonesischen Gruppen aus Osttimor, Basilio Araujo, über die Flure der Volksversammlung. Araujo, der mit den berüchtigten pro-indonesischen Milizen in Osttimor zusammengearbeitet hat, will die Delegierten dazu bewegen, gegen die Freigabe Osttimors zu stimmen.
Letztlich wird sich die Volksversammlung wohl dem starken internationalen Druck beugen. Doch juristische Angelhaken sind nicht ausgeschlossen: Einer der unter den indonesischen Delegierten debattierten Gesetzesentwürfe verlangt zum Beispiel, dass Portugal zunächst seine Verfassung ändert, damit Osttimor nicht in den Status einer portugiesischen Kolonie zurückfallen kann.
Für das von pro-indonesischen Milizen zerstörte Osttimor wäre jeder neue Aufschub fatal. Vier Wochen, nachdem die internationalen Truppen in der Region gelandet sind, fehlt noch immer eine zivile Verwaltung für die Region. Langsam füllen sich die zerstörten Städte und Dörfer wieder. Viele Menschen kommen von den Bergen, um nach ihren Verwandten und Lebensmitteln zu suchen.
Das UNO-Flüchtlingswerk Unhcr hat aus Lagern in Westtimor einige der über 200.000 Osttimoresen zurückgebracht, doch die Situation in mehreren von Milizen terrorisierten Camps ist weiterhin bedrohlich. Offenbar kehren inzwischen auch Gruppen von Milizen in den Ostteil der Insel zurück: Interfet befürchtet, dass sie einen Guerillakrieg planen.
Erst letzte Woche hat die UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson eine Untersuchungskommission vorgestellt, die Hinweise auf systematische Morde und andere Verbrechen in Osttimor untersuchen soll. Zu dem fünfköpfigen Team, das noch nicht in Dili eingetroffen ist, gehört auch die ehemalige deutsche Justizminsterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Kritiker haben der UNO vorgeworfen, zu langsam zu reagieren, da sie befürchten, dass wertvolle Spuren inzwischen verloren gegangen sind.
Robinson soll ihren Bericht bis Ende des Jahres der UNO vorlegen, die dann entscheidet, ob sie ein Kriegsverbrechertribunal wie für Ruanda oder das ehemalige Jugoslawien einrichten wird. Die indonesische Regierung hat angekündigt, sie werde einen eigenen Menschenrechtsausschuss nach Osttimor schicken. Jutta Lietsch
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