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Krankenkassen sehen rot

Ersatzkassen wollen nicht für die angeschlagenen AOKs im Osten zahlen. Sie drohen Ministerin Andrea Fischer, notfalls die Gesundheitsreform zu kippen  ■   Von Annette Rogalla

Die Gesundheitsreform wackelt. Die geplante Milliardenhilfe für die verschuldeten Allgemeinen Ortskassen (AOKs) im Osten entwickelt sich zum absoluten Streitpunkt in der Gesundheitsreform. Die Ersatzkassen wollen sich weigern, 1,3 Milliarden Mark zusätzlich zur Entschuldung von vier AOKs in Ostdeutschland zu überweisen. Sie fühlen sich geschröpft.

Norbert Klusen, Vorstand der Techniker Krankenkasse (TKK), sagte: „ Wenn wir die Altschulden der Konkurrenz zahlen sollen, werden wir Andrea Fischer die Gefolgschaft künfigen.“ Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen, Herbert Rebscher: „Wenn die Gesundheitsministerin unsere Wettbewerber begünstigt, kann sie nicht erwarten, dass wir sie bei der Gesundheitsreform weiterhin unterstützen.“ Auch in den Bundesländern gärt die Kritik.

Am Wochenende hatte der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel (CDU), eine Verfassungsklage angekündigt. Zur Begründung sagte er: „Der Bund kann eine Krankenkasse auf Landesebene nicht per Gesetz zu Finanzspritzen zu Gunsten Kassen anderer Bundesländer verdammen.“ Für ihre Pläne müsse die Gesundheitsministerin die Zustimmung aller beteiligten Kassen einholen. Fischer wolle aber eine Zweidrittelmehrheit einführen und die sparsam wirtschaftenden Kassen zum Ausgleich zwingen. Das sei verfassungswidrig, so Teufel.

Zwar führt die AOK Berlin mit 1,2 Milliarden Mark Schulden die Hitliste der Pleitekassen an – aber rechtlich zählt sie nicht zu den Ostkassen. Für sie muss außerhalb der beabsichtigten Regelung ein Stützungskurs gesucht werden. Mit der Einmalabgabe verfolgt Fischer die Sanierung der AOKs Mecklenburg-Vorpommern (-710 Millionen Mark), Brandenburg (-665 Milliarden), Sachsen-Anhalt (-556 Milliarden) und Thüringen (-212 Milliarden). Im Osten hätten die AOKs vor zehn Jahren die Rechtsnachfolge des staatlichen Gesundheitswesens der DDR angetreten, deswegen seien sie heute so hoch verschuldet. Die alten DDR-Krankenhäuser und Polikliniken seien schuld, meint das Bundesgesundheitsministerium.

Die Drohung der Ersatzkassen, die Gesundheitsreform platzen zu lassen, sieht die Ministerin gelassen: „Sie sollten im Blick haben, wo die Versicherten bleiben, wenn die Allgemeinen Ortskrankenkasen pleite machen“, sagte ihr Sprecher. Mit anderen Worten: Für die meuternden Kassen handelt es sich um ein Nullsummenspiel. Sollten die AOKs Pleite gehen, müssen sie deren Versicherte und Schulden übernehmen.

Nicht nur die Altlasten der Vereinigung machen den Ost-AOKs zu schaffen. Ihnen laufen auch die Mitglieder davon. Ihre Beiträge liegen in der Regel um einen halben Prozentpunkt über denen der Ersatzkassen. In Berlin beispielsweise liegt der Satz derzeit bei 14,9 Prozent. Nach neuesten Statistiken sind zwischen Juni 1998 und Juni 1999 mehr als 45.000 Mitglieder zu anderen Kassen gewechselt. Der AOK-Bundesverband beklagt, in den regionalen AOKs sammelten sich überproportional die so genannten schlechten Risiken. Also Versicherte, die entweder alt, häufig krank oder Härtefälle sind, oder jene, die nur einen niedrigen Beitrag zahlen. Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, fordert Solidarität. In den vergangenen Jahren hätten die Ersatzkassen „eher die guten Risiken gesammelt, deswegen müssen sie jetzt zahlen“.

So einfach werden die Angesprochenen es ihm nicht machen. Bevor die Ersatzkassen zahlen, sollten die regionalen AOKs sich zu einem Bundesverband zusammenschließen. Dann würde im gesamten Bundesgebiet ein einheitlicher Beitragssatz gelten, vor allem müssten die regionalen Stellen dann gegenseitig füreinander aufkommen, heißt es. Der Vorschlag freut die West-AOKs nicht. In Baden-Württemberg liegt der Satz derzeit bei attraktiven 13 Prozent. Er wäre nicht mehr zu halten.

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