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Gegacker um Gegacker

In Prenzlauer Berg setzt ein Musiker Hühnersound dem Straßenlärm entgegen. Doch das ist den Nachbarn zu laut    ■ Von Gereon Asmuth

Es ist laut. Ständig rumpeln Straßenbahnen, brummen Autos durch die Kastanienallee in Prenzlauer Berg. Jeremy Clarke wehrt sich – mit „Sound“. Auf einem Stuckpodest am ersten Stock der Hausnummer 77 krächzt ein Lautsprecher. Seit neun Uhr morgens gackern Hühner über die Straße. Man hört ihr Scharren, dumpfe Schläge, wenn die Flügel an die Stallwände stoßen, und ab und an kräht ein offensichtlich genervter Hahn. Dann hat selbst die Straßenbahn mit ihrem Gerumpel keine Chance mehr.

Die Passanten werden aus ihrem Trott gerissen. Einige gucken schief, die meisten lächeln. „Was ist denn das?“, fragt ein Kind. „Das sind Hühner“, sagt die Mutter und deutet auf den Lautsprecher. Ein Handy-Man schaut die Fassade hoch und gibt dann schulterzuckend seine Erklärung ins Telefon: „Na, Prenzlauer Berg halt.“

Clarke ist Musiker und Komponist. Der 39-Jährige wohnt seit einigen Monaten in dem Hausprojekt Kastanienallee 77. „Hühner sind kein Lärm“, meint Clarke, „sondern natürliche Geräusche.“ Eine Woche lang will er den „öffentlichen Raum beschallen“. Er hat auch noch die Akustik eines Marktes in der Toskana auf CD. „Da war alles voller Plastiktüten“, erinnert sich Clarke. Wenn man die Ohren spitzt, hört man das Rascheln und Knistern. „Es geht mir um den Kick der anderen Wahrnehmung“, erklärt der Musiker. Durch den Geräuschteppich würden Bilder in den Köpfen der Passanten entstehen, wenn auch nur für einen kurzen Moment.

Doch Clarke hat ein Problem: Nicht nur die Straße produziert Lärm. Auch sein Hausprojekt ist nicht das leiseste. Vorn im Laden gibt es ab und an Musikveranstaltungen. Hier legt Clarke selbst gelegentlich Platten auf.

Es ist laut. „Ständig diese Musik“, regt sich ein älterer Nachbar auf. „Und jetzt dieses Gegacker, schon seit heute Morgen.“ Es ist ein Uhr mittags. Er könne nicht mal mehr sein Fenster öffnen. „Wenn das nicht sofort aufhört, mache ich eine Eingabe. Beim Ordnungsamt.“ Eine von Clarkes Mitbewohnerinnen kommt angeschlurft. Das Gegacker der Hühner ist ihr egal. Das Gegacker des Nachbarn aber geht ihr auf die Nerven. In der Küche des Wohnprojekts schaltet sie die Geräuschkonserve ab. Durch die plötzliche Ruhe rumpelt eine Tram.

Auch eine andere Mitbewohnerin ist genervt: „Ich konnte gar nicht mehr denken.“ Am Wochende war sie auf dem Land, bei echten Hühnern. In der Stadt schlägt ihr das Gegacker jedoch aufs Gemüt. Clarke ist enttäuscht. Ohne den Rückhalt seiner Mitbewohner will er die Aktion nicht fortsetzen. „Über Autos lacht keiner“, meint der Musiker, dennoch werde die Akustik der Straße akzeptiert. „Drei sind genervt und 200 freuen sich“, lautet sein Resümee. Das gelte für die Straßenbahn genauso wie für seine Hühner. Draußen rumpelt es wieder.

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