Keine Wende in der Verkehrspolitik

Ein Jahr Rot-Grün: Die Bundesregierung ignoriert ihren Koalitionsvertrag und verweigert der Bahn die Unterstützung. Verkehrsclub Deutschland fordert zweite Bahnreform  ■   Von Bernward Janzing

Berlin (taz) – Der nach dem Regierungswechsel erwartete Fortschritt der Bahn ist bislang ausgeblieben. Diese Bilanz zog ein Jahr nach dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung der Verkehrsclub Deutschland (VCD) gestern in Berlin. Und auch in den kommenden Jahren wird die Bahn den Durchbruch nicht schaffen, falls sich bewahrheiten sollte, was die Koalition derzeit plant.

Denn entgegen dem im Koalitionsvertrag erklärten Ziel, zwischen Schiene und Straße Chancengleichheit zu schaffen, soll die Kluft zwischen Auto und Bahn noch größer werden. Im Haushalt 1999 sind für den Straßenbau 24 Prozent mehr Geld eingeplant als für die Schiene. Im Investitionsprogramm 2001/02 soll der Vorsprung für die Straße gar auf 43 Prozent aufgestockt werden, rechnet VCD-Sprecher Burkhard Reinartz vor. In der Koalitionsvereinbarung hingegen ist eineAngleichung der Mittel festgeschrieben worden.

Auch das erklärte Ziel der Regierung, die Bahnreform zum Erfolg zu führen, habe auf die Bahnpolitik keine merklichen Auswirkungen gehabt, moniert der VCD. Es sei nun eine zweite Bahnreform „dringend erforderlich“, die die Bahn nicht weiter diskriminiere. Dazu gehöre eine Senkung der Trassenpreise. Das ist die Vergütung, die alle Bahngesellschaften für die Nutzung der Gleise bezahlen müssen. Nur wenn diese sinke, erhalte die Bahn faire Wettbewerbsbedingungen.

Auch beim Güterverkehr will der VCD gegen die Benachteiligung der Schiene angehen: Die Schwerverkehrsabgabe, die es auf niedrigem Niveau für Lastwagen bereits gibt, müsse auf das 10- bis 20-fache angehoben werden. Dann könne sie jene Lenkungswirkung entfalten, die für den Fortschritt der Bahn notwendig ist. Die Berechnung der Abgabenhöhe solle anhand des zulässigen Gesamtgewichtes, der Lärm- und Abgasemissionen sowie der Entfernung vorgenommen werden.

Auch gegenüber dem Flugverkehr ist die Bahn extrem benachteiligt. Während internationale Flüge von der Mehrwertsteuer komplett befreit sind, bezahlt die Bahn die vollen 16 Prozent. Zudem muss sie Mineralölsteuer abführen, die den Fliegern erlassen wird. Diese Subventionierung des Luftverkehrs beläuft sich auf sieben Milliarden Mark jährlich.

Und schließlich vermisst der Verkehrsclub auch ein Programnm zur Senkung des Benzinverbrauchs von Pkws – denn auch dieses ist im Koalitionsvertrag versprochen worden. So müsse spätestens ab 2005 ein Grenzwert von 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer für alle Neuwagen gelten, was einem Verbrauch von etwa fünf Litern je 100 Kilometer entspicht. Pkws mit einem höheren Abgasausstoß müssten künftig mit einer erhöhten Kraftfahrzeugsteuer belegt werden. Nur so könnten die Abgase des Autoverkehrs vermindert werden. Dass dies notwendig ist, zeigt die Statistik: Nachdem 1990 noch 15,3 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen von Autos stammten, sind es inzwischen mehr als 19 Prozent.

Jetzt hofft der VCD auf positive Akzente des neuen Verkehrsministers Reinhard Klimmt. Sein Vorgänger Müntefering habe diese nicht gesetzt – das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel, eine „effiziente und umweltgerechte Verkehrspolitik“ einzuleiten, sei „ein Lippenbekenntnis geblieben“.