Sie sind die Schönste, ich werde Sie kaufen

■ Die Werkbühne Berlin zeigt „Fernando Krapp hat mir diesen Brief geschrieben“

Krapp gehört zu den Typen, die die Welt so hindrehen, wie es ihnen passt

Sie sind die Schönste. Ich werde Sie heiraten“. Wie würden Sie reagieren, bekämen Sie einen Brief ungefähr diesen Inhalts? Der Typ muss verdammt unter Selbstüberschätzung leiden, werden Sie denken. Fernando Krapp auf jeden Fall kommt damit durch, und zwar immer: „Fernando Krapp hat mir diesen Brief geschrieben“ heißt das Stück von Tankred Dorst, eine Inszenierung der Werkbühne Berlin in der Alten Schlosserei der Kulturbrauerei.

Schon allein der Name des Titelhelden lässt auf Lateinamerika schließen und richtig: Vorlage ist eine Erzählung von Miguel de Unamuno. Wir befinden uns in irgendeiner Stadt, in der Menschen zum Beispiel pleite gehen können und schöne Töchter besitzen. Eine ist so schön, dass ein draufgängerischer Finanzmogul ihrem bankrotten Vater die Schulden bezahlt.

Zusätzlich gelingt es dem virilen Tausendsassa dank seiner, sagen wir mal Ausstrahlung, die Tochter des Hauses (Julia, gespielt von Kerstin Hänel) von sich zu überzeugen. Es wird geheiratet, und der Thronfolger (natürlich!) wird geboren. Frauchen hat also zu tun, und außerdem ist sie ihm ja so verfallen, denkt er.

Krapp gehört zu den Typen, die mit Geld und Macht die Welt so hindrehen, wie es ihnen passt, ohne Rücksicht auf Verluste. Darum wird Julia dann auch in die Klapse eingewiesen, als sie wütend ihrem Mann ein Verhältnis mit einem adligen, schöngeistigen Schwärmer (Rudolf Krause) gesteht. Eine Strafe für ihre Fehlfunktion, sie soll sich alles nur eingebildet haben. Irgendwann spielt sie das Spiel mit, der Herr hat recht, sie ihre Ruhe und schwindet dahin.

Worum geht es also? Julia verliebt sich in den großen Zampano Krapp (Jürgen Larys), weil der eben ein toller Haudraufwaskostetdiewelt-Klotz ist. In den intellektuellen Schwächling verliebt sie sich der Seele wegen, dem Krapp-Klotz muss sie sich aber unterwerfen, um zu überleben. Beim Anblick dessen kann frau nur froh sein, dass sie sich nicht in Lateinamerika befindet.

Ein schwacher Trost, okay, denn mit der Liebe ist es immer so eine Sache, will uns der Autor vielleicht ja auch erzählen. Und wer hat nicht schon mal einen Stoßseufzer mit der Bitte um perfekte Mischung von Geist und Körper getan? Hm. Ist das Stück aber vielleicht doch eher eine Anklage gegen die Unterdrückung der Frau? Wohl kaum. Dafür kommt Krapp zu gut weg, ist er als „Mann mit Vergangenheit“ doch einer, der sich selbst zu dem gemacht hat, was und wie er ist, ein Latino-Citizen Kane sozusagen. Julia ist die Empfindsame, und der adlige Jammerlappen ist nur solange stark, wie er sich nicht beweisen muss. Also solange er redet. Nichts und niemand ist in diesem Stück so, wie es scheint: Ganz nebenbei wird erzählt, wie eigene Fiktion und Realität ineinander greifen, sich sogar bedingen.

Gut ist, dass sich Jobst Langhans' Inszenierung auf das Stück und die Schauspieler verlassen hat. Sie bewegen sich in einem Raum mit weißen Wänden, auch das spärliche Mobiliar ist weiß. Die wenigen Farbtupfer kommen ins Spiel, wenn es um Gefühle geht: Eine rote Seidendecke als Symbol für den Ehebruch oder das bunte Kleid auf einem Ausflug der frisch Verliebten. Zwischen den einzelnen Szenen spielt jemand todtraurig oder unheilschwanger auf der Klarinette. Es könnte auch ein Märchen sein: Am Ende stirbt Julia, und der kühle Welteneroberer gesteht ihr seine Liebe. Zu spät.

Ingrid Beerbaum

28.–31. Oktober, 20 Uhr, Werkbühne Berlin in der Alten Schlosserei der Kulturbrauerei, Knaackstraße 97/ Ecke Danziger Straße