: Wie ein sanfter Riese
Richtfest am neuen Bundeskanzleramt in Berlin: Vielen ist der Bau zu teuer und herrschaftlich. Eine Architekturkritik ■ von Rolf Lautenschläger
Axel Schultes, Architekt des neuen Bundeskanzleramtes, mag die Presse nicht mehr. „Viel zu kritisch“ würde die Größe des Regierungssitzes im Spreebogen beurteilt, beschwerte sich Schultes. Der Bau sei nicht höher als der benachbarte Reichstag. Und zu klein dürfe das Haus, von dem „Energien in die Stadt hinaus gehen sollen“, auch nicht sein. Schließlich residiere dort der Regierungschef.
Wenn heute der Richtkranz über dem Rohbau hochgezogen wird, hat das „Koloss für den Kanzler“, bei dem sich Passanten an den Nazi-Architekten „Albert Speer erinnert fühlen“, wie der Berliner Tagesspiegel schrieb, seine endgültige Höhe erreicht. Satte 36 Meter erhebt sich der weiße Kubus in der Mitte des H-förmigen Komplexes, in dem das Büro des Kanzlers sowie der Kabinettssaal liegen.
Kaum weniger monumental kommen die 18 Meter hohen Verwaltungsflügel links und rechts des zentralen „Kanzlergebäudes“ daher, in denen 310 Büros untergebracht sind. Über 100 Meter zieht sich das Haus in die Länge und springt als erweiteter „Kanzlergarten“ gar über die Spree in Richtung Moabit hinüber. Dort ärgert sich Horst Porath, SPD-Baustadtrat des Bezirks Tiergarten, der das Ensemble insgesamt „zu wuchtig“ findet und die „blöde Mauer“ des Kanzlergartens am liebsten wieder abreißen würde.
Natürlich streitet Axel Schultes die Massen und Volumina für 19.000 Quadratmeter Nutzfläche nicht ab. Spätestens seit Gerhard Schröder ihn mit dem Satz abgestraft hatte: „Haben Sie es nicht eine Nummer kleiner“, sucht der Architekt nach Rechtfertigungen. Es sei der „Wunsch Helmut Kohls“ gewesen, „dem neuen Kanzleramt eine herausragende Stellung“ gegenüber dem Reichstag zu geben. Außerdem müsse sich der Bau im Konzert mit der gläsernen Kuppel, den neuen Parlamentsbauten und dem geplanten Lehrter Zentralbahnhof direkt gegenüber „positionieren“.
Unterstützung erhält Schultes von der Bundesbaugesellschaft Berlin (BBB). Die Dimension des Kanzleramtes bedeuteten keineswegs, dass das Gebäude ein autistisches Eigenleben im Regierungsviertel führe. Vielmehr werde „der städtebauliche Dialog“ an der Ostseite durch die offene Architektur zu den Bundestagsbüros und an der Westseite durch den Park zu Tiergarten aufgenommen.
Schaut man sich den Bau genauer an, lässt sich die „herrische Geste“, wie der Baukritiker Heinrich Wefing befand, höchstens an den kühlen glatten Außenfronten des Kanzlerkolosses feststellen. Im Innern dagegen löst sich das Monstrum auf ein einen sanften weißen Riesen. Die verpöhnte Herrschaftsarchitektur verwandelt sich dort in ein verspieltes 5-stöckiges Haus, das mehr an eine Moschee denn einen Regierungssitz erinnert. Nicht umsonst spricht Schultes immer wieder von einem „Haus des Geistes“ oder von einem baulichen Symbol der Reflexion, wenn er vom Kanzleramt redet.
Massig erscheint das Haus auch deshalb nicht, weil dem Besucher schon im Ehrenhof die freigestellten Säulen des Haupteingangs quasi entgegenlaufen. Etwas zu kleinteilig sind die Räume und Treppenanlagen entworfen. Immer wieder stößt man auf Nischen, Eckchen und Zimmer mit unruhigem Grundriss. Aber je weiter der Besucher hinaufsteigt, desto mehr löst sich die märchenhaft überladene Architektursprache wieder auf und wird ruhiger. Die Räume werden weiter, die Flächen gradliniger. Der Kanzler blickt aus seinem Büro aus den großen halbrunden „Augen“ auf den Reichstag. Doch die Wohnung für den Chef im 5. Stock hat zwei Zimmer, Küche, Bad. Nicht mehr. Herrschaftsarchtitektur? Wohl kaum.
Herrschaftlich am Kanzleramt ist etwas ganz anderes. Wenn heute im weißen Sandsteinbau Kanzler Schröder, die Männer vom Bau, die Architekten und Senatoren der Stadt feiern, tun sie dies im teuersten Regierungsneubau in der Geschichte der Republik.
Hatte Schultes nach dem siegreichen Wettbewerb 1995 die Baukosten auf rund 300 Millionen Mark taxiert, stiegen diese in den Jahren erst auf 330 und dann auf rund 400 Millionen Mark. Derzeit kalkuliert das Bundesbauamt für die Realisierung über 465 Millionen Mark, eine fast nicht mehr begreifbare Verteuerung, wie die baupolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion Franziska Eichstädt-Bohlig kritisierte.
Die Gründe für die wesentlichen Kostensteigerungen werden von der zuständigen Bundesbaugesellschaft (BBB) nur unzureichend aufgeklärt. Zum einen sei der sumpfige Baugrund nahe der Spree für die Kostenexplosionen verantwortlich. Mehr Beton für die Fundamente sei notwendig gewesen, argumentiert BBB-Geschäftsführer Rütters.
Hinzu kamen aber auch Planungsänderungen aus der Hand von Axel Schultes, die zum Millionenpoker beigetragen haben. So wirft der Rechnungshof dem Architekten vor, Material und Mengen falsch berechnet zu haben, außerdem sollen Extrafertigungen von Säulen oder gewölbten Deckenteilen vorgenommen worden sein. Schließlich hat auch das Kanzleramt selbst Anteil an den Kostensteigerungen, weil Stein- statt Teppichfußböden in den Foyers liegen sollen.
Dass dem Architekten und dem Kanzler die Kostensteigerungen heute das Richtfest nicht verhageln werden, ist eine Sache. Eine andere ist, dass schon jetzt von neuen Zuschlägen die Rede ist. Eichstädt-Bohlig geht deshalb mit der BBB hart ins Gericht, die das Kanzleramt hätte rechtzeitig „warnen“ müssen. Wenn die Feier vorbei sein wird, rüstet die Parlamentarierin zur Inventur: Noch Ende Oktober soll die Baukommission des Deutschen Bundestages über den Millionenbau beraten.
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