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König der Bongo

Reporter ohne Grenzen: Manu Chao ist der Nachlassverwalter der französischen Ethno-Punk-Pioniere Mano Negra. Der Mann mit der Bommelmütze begreift sich als Chronist der Globalisierung von unten  ■   Von Katrin Wilke und Daniel Bax

„Es ist, als würde er nicht existieren.“ Nicht gerade ein vielversprechender Hinweis, mit dem ein Freund aus Madrid auf der Suche nach Manu Chao behilflich zu sein versuchte. Eine Telefonnummer in Barcelona, die gebe es zwar. Aber diese zu wählen könne man sich schenken, eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter würde nichts bringen, höchstens als Sprachdokument in das umfangreiche Stimmenarchiv wandern, aus dem sich der Musiker hin und wieder für seine Soundcollagen bedient. Als skurriles Exponat auf dem Friedhof der hinterlassenen Nachrichten zu enden, möglicherweise auch noch als Tonfragment auf dem nächsten Album verewigt – schönen Dank auch. So war es dann ein Wink in Richtung Barcelonas Gotisches Viertel, der auf die richtige Spur führte, zu einem mit zahlreichen Bars gesäumten Platz, Manu Chaos Einzugsgebiet. Dort lief dann tatsächlich der Mann mit der Bommelmütze eines Abends seines Weges und ließ sich bereitwillig zu einem Treffen am nächsten Tag überreden.

Zufälligkeiten dieser Art scheinen das Verlässlichste zu sein bei Manu Chao. Vier Jahre herrschte komplette Funkstille, nachdem Mano Negra, illustre Pioniere des französischen Ethno-Punk, sich getrennt hatten – nicht im Streit, sondern aus allgemeiner Erschöpfung, wie es heißt. Mit fünf Platten, rechnet man ein Live-Album dazu, hatte die „schwarze Hand“ ihren hybrid-explosiven „Patchanga“-Stil definiert (nach „Patchanga“, dem Titel ihrer ersten Platte) und damit großen Einfluss auf die französisch- und spanischsprachige Indierock-Szene ausgeübt, bis weit nach Südamerika hinein. „Casa Babylon“ markierte 1994 den Abschied der Band, deren Vormann sich im letzten Jahr mit dem Alleingang „Clandestino“ zurückmeldete. Seit ihrem Erscheinen mauserte sich die Platte zu einem unerwartet erfolgreichen Selbstläufer. Nicht nur in Frankreich und Spanien, wo sie monatelang die Hitlisten anführte, sondern, fast ohne Werbung oder Medienecho, auch in Deutschland – etwa in Kreuzberger Cafés, wo sie in diesem spanischen Sommer mancherorts gar dem „Buena Vista Social Club“ den Rang ablief.

Auf den Zufall bauen – das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch das Gespräch am Morgen in einer kleinen Straßenbar. „Meine persönliche Art zu arbeiten basiert darauf, offen für alles zu sein“, sagt Manu Chao, dessen markante Bommelmütze derweil sichtbar aus der Hosentasche baumelt. Zufall ist letztlich auch das Prinzip, dem „Clandestino“ seine endgültige Form verdankt. „Auf ,Clandestino‘ ist das Mischergebnis eines bestimmten Tages zu hören. Eine Woche später wäre sicherlich eine andere Platte dabei herausgekommen. Aber hätten wir nicht eines Tages mit dem Mischen gestoppt, dann würden wir heute noch im Studio herumhängen und wären am basteln.“

Kein Düsenjet, ein Bummelzug

Dass die Platte dabei eine fast schon akustische Einfachheit ausstrahlt – auch das ist letztlich dem Zufall geschuldet. Denn eigentlich sollte es ein elektronisch pulsierendes Techno-Album werden. Stattdessen klingt „Clandestino“, als wären die Stücke an einem sonnigen Nachmittag entspannt auf der Gitarre einstudiert worden, Mano Negra unplugged. Doch es gibt auch geschickt gesetzte Loops und Samples, die mit der Handvoll Akkorde und den simplen Melodien zu einem homogenen Gesamtsound verschmelzen, hochgradig eingängig und schwer kategorisierbar: spanischer Cyber-Folk? Oder eine verwandte Form der Mittelmeer-Elektronik? Waren Mano Negra die französische Antwort auf The Clash, dann klingt Manu Chao wie der galizische Halbbruder von Beck. Die Stücke gehen ineinander über, überlagern sich wie Radiofrequenzen, Motive kehren wieder, und der Sänger wechselt spielerisch vom Französischen ins radebrechende Pidgin-Englisch. Alles im Fluss. Auch „die Stücke selbst waren ständig in Bewegung“.

Ständige Bewegung, das ist das andere Leitmotiv des Manu Chao, der nach eigener Auskunft Schwierigkeiten hat, länger als drei Monate an einem Ort zu bleiben. Aufgewachsen ist er in der Banlieue von Paris, als Mittelschichtsspross unter Arbeiterkindern. Der Vater Ramon Chao arbeitete als Redakteur beim lateinamerikanischen Dienst des französischen Radios, und der galizische Großvater brachte von seinen Reisen nach Südamerika stets neue Platten mit.

Auch „Clandestino“ ist das Resultat ausgiebiger Reisen, die Manu Chao inkognito durch ganz Lateinamerika, von Mexiko bis Chile, in den Senegal und nach Mali führten. Allerdings nicht wie Sting im Düsenjet, sondern vorzugsweise im Bummelzug. Aus mehr als 70 Song-Miniaturen, die er währenddessen auf seinem DAT-Recorder mitschnitt, Spontankompositionen, Zufallsaufnahmen und Improvisationen traf Manu Chao im Aufnahmestudio eine Auswahl von 45 Minuten, meist die eher ruhigen, zurückgelehnten Stücke. „Ohne konkreten Gedanken an eine Platte habe ich unterwegs Lieder aufgeschrieben und Aufnahmen gemacht: in der Küche eines Freundes in Rio, im Autobus in Mexiko, in Paris und Barcelona. Während meines mehrjährigen Umhertreibens ist enorm viel Material zusammengekommen, und so mussten wir nach zum Teil sehr willkürlichen Kriterien entscheiden.“ Der Künstler selbst will sein Werk als „eine Art musikalisches Fahrtenbuch“ gelesen wissen – eine Sammlung Polaroids vom Rande der Welt, das persönliche Destillat der Globalisierung von unten.

Denn das ist das Grundthema. Manu Chao mag wie die perfekte Verkörperung des Globetrotterideals wirken, geradewegs der Lonely-Planet-Reiseliteratur entsprungen, und mit seinem Aussteigertum auf Zeit bietet er sich geradezu an als Werbeträger für Gauloises-Zigaretten: Liberté toujours. Aber die Naivität trügt, ihm fehlt die typische Traveller-Ignoranz, die überall nur den Abenteuerurlaub sucht, schließlich weiß er um das Privileg, einen Pass zu besitzen.

„Clandestino“ handelt von den Verlierern der Globalisierung, die kein Visum bekommen, von Migration und Illegalität, und von symbolischen Grenzorten wie Gibraltar und Tijuana. Melancholie ist die Grundstimmung. Die Welt ist Lüge, heißt es in „Mentira“, während zu einem Dubrhythmus eine Nachrichtenstimme die Ergebnisse der Klimakonferenz zur globalen Erwärmung referiert, und so bleibt nur, auf die letzte Flut zu warten, wie „La Ultima Ola“ empfiehlt.

Botschafter der Hinterhöfe und Barrios

Ganz altmodisch gilt Manu Chaos Sympathie dem Menschen in der Revolte. „Clandestino“ ist unter anderem der mexikanischen Zapatistenbewegung gewidmet, deren Subcommandante Marcos mit einer eingestreuten Radiorede auftaucht. Revolutionsromantische Polit-Folklore, doch diesen Vorwurf weist er weit von sich. „Meinetwegen mögen manche den Zapatismus als eine Art Emblem benutzen. Das Wesentliche ist aber, sich darüber bewusst zu werden, was die Leute dort zu erdulden haben.“

Manu Chao will sich als Botschafter der Hinterhöfe und Barrios der südlichen Hemisphäre verstanden wissen, als Auslandskorrespondent im globalen Untergrund: Reporter ohne Grenzen, im Auftrag des transatlantischen Nord-Süd-Dialogs.

Dass die Rolle des mahnenden Troubadours leicht ins Lächerliche kippen kann, ist ihm allerdings klar. Als „King of Bongo“ kokettiert er ironisch mit seiner Außenseiterposition – „They say that I'm a clown, making too much dirty sound“, dann wieder zeichnet er sich resigniert als blinden Passagier zwischen den Zeiten, „verloren im Jahrhundert“.

Ein Einzelkämpfer ist Manu Chao allerdings nicht, auch wenn das Cover von „Clandestino“ diesen Eindruck nahelegt. Beim Erzählen greift er fast durchweg zur Wir-Form, mit gutem Grund: „Seit dem Ende von Mano Negra vor fünf Jahren bin ich dauernd beschäftigt mit allen möglichen Projekten. Vor allem mit Radio Bemba, das keine Band im eigentlichen Sinne ist, sondern eher eine offene Gemeinschaft. Dabei kommen die unterschiedlichsten musikalischen Erfahrungen zusammen, die wir unter diesem Kollektivnamen zu bündeln versuchen.“

Auch an diesem Morgen ist Manu Chao nicht wirklich allein. Die Straßenterasse vor der Bar ist bevölkert mit Freunden und Kollegen, Alteingesessenen und Neuankömmlingen aus Spanien und Frankreich, aus Afrika und Lateinamerika. Und während des Gesprächs weht einmal aus einem kleinen Eisladen auf der anderen Seite des Platzes die Musik der französischen Alternative-Band Zebda herüber – alte Bekannte von Manu Chao. Die Freunde in Frankreich sind allerdings das einzige, was Manu Chao seit seiner Übersiedlung nach Spanien vermisst. „Ich habe mich hier ganz gut eingerichtet. Spanien gehört für mich zu den wenigen Orten in Europa, wo es noch so etwas wie ein wirkliches Straßenleben gibt. Das gefällt mir.“

Zirkus und Spontanspektakel

Im Laufe der vergangenen fünfzehn Jahre – so lange liegen die Anfänge der Mano Negra bereits zurück – hat der 38-Jährige weltweit ein beachtliches Netzwerk von Musikern und anderen Künstlern geknüpft, und aus diesen Kontakten entspringen stets neue Aktivitäten. So kam es in der Vergangenheit des öfteren zur Zusammenarbeit mit Bands in Brasilien (Skank), Mexiko (Todos tus Muertos, Tijuana No!) oder Spanien (Amparanoia). Auch Mano Negra funktionierte bereits als eine Art erweiterter Familienverbund, und die Band erprobte neue Auftrittsformen, die einen anderen Kontakt zum Publikum erlauben als gewöhnliche Konzerte.

„Schon seit langem habe ich das Interesse verloren an herkömmlichen Konzerttouren. Ich halte so etwas für überholt. Was mich viel mehr reizt, ist das Konzept des Zirkus.“

In diesem Sinne schipperten schon Mano Negra 1992 mit einem Containerschiff fast die gesamte südamerikanische Küste entlang und machten bis nach Buenos Aires an allen Großhäfen Station, ein Jahr später zuckelte die Band an Bord eines buntbemalten Güterzugs tausend Kilometer durch den kolumbianischen Dschungel, um unterwegs Spontanspektakel zu veranstalten. Manu Chaos jüngstes Zirkus-Projekt heißt „Feria de las Mentiras“. Die Provinz Galicien hat ihn beauftragt, für das kommende Jahr unter diesem Namen ein großes Millenniums-Kulturfest zu organisieren.

Hierzulande war Manu Chao dagegen seit acht Jahren nicht mehr zu sehen, und wahrscheinlich wird er auch in Zukunft zu beschäftigt sein, um sich dem größten Musikmarkt Europas zu widmen. In seiner antikommerziellen Attitüde ist er da ganz konsequent: Deutschland und Großbritannien interessieren ihn einfach nicht.

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