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Das ziellose Unterwegssein

Der Heilbronner Kunstverein zeigt neue Arbeiten von Jack Pierson, der seine Fotografien inzwischen wie einen falschfarbenen Barcode in Rosarot collagiert  ■   Von Martin Pesch

Keine einzige scharfe Stelle gibt es in Jack Piersons Farbfotografie „A Rose In Rocky's Backyard“ von 1992. Die Rose, die zu einem großen, knallroten Farbfleck explodiert ist, erkennt man nur als solche, weil der Titel sie nennt. Umgeben ist sie von grünen Farbfeldern und am oberen Rand von sonnendurchflutetem Blattglitzern. Charakteristisch für den 1960 geborenen und in New York lebenden Pierson ist die vor Leben strotzende Farbigkeit und eine Nähe zur Malerei, die sich in der Meisterschaft in der Komposition von Farbstimmungen auch auf anderen, weniger spektakulären Fotos zeigt. Zum Beispiel in dem Selbstporträt „Pink Badlands“ aus demselben Jahr. Piersons nur mit einer Jeansweste bekleideter Oberkörper verschwindet förmlich im Hintergrund, vor dem er steht: eine karge Wüstenlandschaft, am Horizont ein paar Hügel, alles ins Altrosa der Abenddämmerung getaucht.

Mit dieser Art Fotos ist Pierson bekannt geworden. Nie ist recht zu entscheiden, ob man die Spontanität des Schnappschusses, die sich in der Motiv- und Ausschnittwahl zeigt, bewundern soll oder die außergewöhnliche Farbigkeit, die auch den kunstgeschichtlichen Anspruch vollends befriedigt. Seine beiläufigen Blicke aus Fenstern billiger Hotels und fahrender Autos, seine Porträts von Freunden, die auf Betten liegen, halbnackt, mit der Zigarette im Mund – all das stellt ihn durchaus in die Tradition von David Hockney, der, mehr als eine Generation älter, ein ähnliches Motivspektrum abdeckt. Allerdings mit einem weitaus ruhigeren Blick, der selbstsicher die Dinge und Menschen fotografisch arrangiert. Pierson dagegen ist unstet, fiebrig, auf dem Sprung; er will künstlerisch „seine“ Welt schaffen, bringt es aber zeitgemäß nur dazu, seine Künstlerschaft zu zeigen, indem er sie als Fragment präsentiert – aufgesplittet in zahllose Zeugen einer eigenen Erzählung.

In einer auf wenige Arbeiten konzentrierten Ausstellung im Heilbronner Kunstverein ist nun zu sehen, dass er die Schraube noch ein bisschen weitergedreht hat. „Seven Shades Of Suicide Blond And The Life Of Riley“ – der Ausstellungstitel benennt zwei neue Serien von Fotocollagen. Wenn Pierson früher die Darstellungskraft der Fotografie nicht reichte, hat er groß abgezogene Computerausdrucke noch mit Acrylfarbe übermalt. Diesen Zuwachs an Materialität, der die Oberflächenreize einerseits, die Reflexion des Mediums andererseits steigerte, lässt Pierson jetzt zurückschnellen, indem er direkt in das Fotopapier einschneidet. Meist in Streifen zerlegt ergeben sich nun aus einem oder mehreren Fotos abstrakte Muster. Nur einmal ergibt sich aus unregelmäßigen Permutationen das Gesicht eines jungen Mannes, das in den anderen sechs Teilen der Serie nur zu erahnen ist – wenn man die zu sehenden Partien der Augen, des Mundes, der Stirn und der Nase mit etwas Fantasie selbst zusammendenkt.

Hatte Pierson bislang immer betont, dass seine Fotos nicht den Moment abbilden, in dem er den Auslöser betätigt hat, sondern selbst Auslöser von Emotionen und imaginierten Geschichten beim Betrachter seien, versucht er jetzt anscheinend über einen formalen Umweg seine Fotografie narrativ zu gestalten: Collage und Serie. Gleichmäßige rosarote Streifen ziehen sich wie ein falschfarbener Barcode durch die andere, fünfteilige Serie der Ausstellung. Durchbrochen werden sie von Fragmenten: ein Innenraum als Farbnegativ, Kirschbaumblüten, eine Hausfassade. Im abstraktesten Teil der Serie ist der Hintergrund noch durch vertikale Streifen anderer Fotos verdoppelt. Wie bei allen neuen Collagen sind sie mit Tesafilm aneinander geklebt und in Metallrahmen befestigt.

Wer das fotografische Werk Piersons kennt, auf den können diese Collagen durchaus wie eine Abkehr von lieb gewonnenen Positionen wirken. Wo sich ein Großteil der Künstler seiner Generation schnell auf eine Handschrift festlegt – sei es auf Druck des Marktes, der Kuratoren oder der eigenen Bequemlichkeit –, macht Piersons Neuanfang innerhalb seiner Auseinandersetzung mit Fotografie auf jeden Fall Eindruck. Wie zur Beschwichtigung zeigt er aber auch einige Arbeiten, die man von ihm erwartet.

Parallel zur Fotografie beschäftigt sich Pierson mit Zeichnungen, er installiert leuchtende Neon-Schriftzüge und kreiert Wortbilder aus nicht mehr funktionierenden Leuchtreklamen. Im zweiten Raum des Kunstvereins zeigt er drei Neonschriftzüge: „Adult Video“, „25 c“, „Chinese Food“. Die Aufforderung zu Vergnügen und Konsum macht an diesem Ort schlagartig melancholisch. Sofort rattern durchs Gehirn eine Vielzahl von Straßen, in denen sie des Nachts leuchten – Teile urbaner Vitalität, Illuminationen des nächtlichen Streunens, des ziellosen Unterwegsseins. Hier dagegen: absolute Stille, Einsamkeit, nur man selbst, zwei Kunstverein-Angestellte im Büro, Heilbronn, schwäbeln, helllichter Nachmittag mitten in Deutschland. Da wissen die von Pierson angestubsten Assoziationen dann nicht, wohin.

Jack Pierson zielt, wie er sagt, auf „ein kollektives Wissen von Gemeinplätzen und Stereotypen.“ Er trifft es insbesondere mit seinen Worten aus zusammengeklaubten Buchstaben nicht mehr gebrauchter Leuchtreklamen. Ihrer Strahlkraft und ihres eigentlichen (Werbe)-Sinns enthoben, hängen sie an der Wand. Für den Eingangsbereich des Heilbronner Kunstvereins hat er das Wort „Helden“ komponiert. Den Anfangsbuchstaben bildet das Metallgestell eines einstmals leuchtenden „H“, ein „e“ stammt offensichtlich aus dem „e-Plus“-Schriftzug. Als Erstes denkt man selbstverständlich daran, dass Pierson das deutsche Wort von David Bowie gelernt haben muss. War eine super Platte, damals. Pierson meint, dass man sie sich vielleicht mal wieder anhören sollte. Jack Pierson, bis 14. 11., Kunstverein Heilbronn

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