: Welche Meisterschaft eigentlich?
Beim 0:0 in Freiburg lässt Bayer Leverkusen keinen Zweifel daran, dass sich das Team nur auf der Durchreise nach Rom befindet ■ Aus Freiburg Katrin Weber-Klüver
Eigentlich hatte sich die Saison gut angelassen für Bayer Leverkusen. Und das will etwas heißen, denn das Ziel war erstmals öffentlich hoch gesteckt: Deutscher Meister werden. Frühzeitig setzte sich Leverkusen in der Tabellenspitze fest, besiegte auch gleich Bayern München, und die Mannschaft von Christoph Daum schien endlich einmal im Angesicht heftig drohenden Erfolgs nicht mehr von Nervenflattern gelähmt, sondern durch die eigenen Ambitionen angespornt zu werden.
Beflügelt legte der Vizemeister gleich auch noch im Paralleluniversum Champions League eine gute Partie nach der nächsten hin. Und Manager Reiner Calmund konnte sich gar nicht mehr beruhigen, so begeistert war er nach den Heimspielen gegen Lazio Rom und Dynamo Kiew davon, dass die Elf inzwischen auf höchstem europäischen Niveau mitspielen konnte, ohne kollektiv alle Leistungsgrenzen zu überschreiten.
Genau das könnte sich jetzt zum Dilemma auswachsen. Denn gut, bisweilen überlegen gespielt hat Bayer seine Champions-League-Spiele zwar, tatsächlich gewonnen aber nur eines von vieren. Nach der ersten Niederlage, dem 2:4 in Kiew vergangene Woche, ist nun sogar ein Ausscheiden schon nach der ersten Runde nicht unwahrscheinlich. Macht nichts, könnte man sagen, denn schließlich ist die Champions League nur Beigabe. Und dann könnte man heftig mit dem psychedelischen Die-Liga-Logo des DFB wedeln und den Leverkusenern zurufen: „Hallo, hallo, hier spielt die Musik! Erinnert ihr euch noch? Ihr wolltet doch Meister werden!“
Aber die Begeisterung, sich mit den Großen Europas messen zu können, scheint manchen Bayer derart trunken gemacht zu haben, dass die Bundesliga gerade so verlockend wirkt wie alkoholfreies Diätbier ohne Kohlensäure. Liebend gern würde Leverkusen in Rom bestehen, und dann bald gegen Barcelona und Manchester und überhaupt. Vorgestern aber mussten sie auf der Reise nach Italien Station im Breisgau machen. Mit einem Sieg gegen Freiburg hätte Bayer Tabellenführer werden können. In der Bundesliga. Möglich, dass ein paar aus dem Bayer-Tross nicht mehr genau wissen, was das ist. Es ist ja auch so, dass sie durch die pausenlose Spielerei schon jetzt schwere Erschöpfungszustände haben. Bernd Schneider zum Beispiel, „der überragende Spieler der letzten Wochen“ (Calmund), „pfeift aus dem letzten Loch“ (Daum). Er muss aber trotzdem immer auflaufen, weil Leverkusen einen „personellen Engpass“ (Daum) hat. Der besteht im Wesentlichen aus drei Ausfällen: Zé Roberto, Ballack und Kovac.
So kam es, dass Bayer im Breisgau sein schlechtestes Saisonspiel ablieferte; ohne Esprit, ohne Ideen, ohne Offensivgeist, ohne Siegeswillen. Stattdessen gab es einen Emerson, der durch rustikale Zweikämpfe und nickelige Fouls auffiel, einen Beinlich, der in 90 Minuten nichts zu bieten hatte als eine rüde Attacke im Mittelfeld; und damit gar nicht erst Zweifel daran aufkeimten, dass Bayer nur auf der Durchreise war und „mit gedrosseltem Motor“ (Calmund) ein Pflichtspiel durchstotterte, traten nur zwei statt drei Stürmern an. Dafür, meinte Calmund zufrieden, habe die Mannschaft „heute hinten gut gestanden“. Er ergänzte: „Aber das ist ja auch klar, wenn du nach vorne nichts riskierst.“
Risiko ist nun in Rom gefragt. Schon Momente nach dem tor- und trostlosen Remis trieb Calmund und Daum nur noch das Spiel am Mittwoch um. „Wir haben eine realistische Chance auf ein Unentschieden“, glaubt der Manager, denn „wir hatten in allen Champions-League -Spielen Feldvorteile.“ Der Trainer rechnet anders: „Die Maßgabe ist, das Spiel zu gewinnen.“ Dann wäre Leverkusen international tatsächlich wieder im Rennen. Aber was würde dann aus der Meisterschaft? Meisterschaft? Welche Meisterschaft?
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