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Die Welt als Supermarkt

Volk & Welt geht nach München, und auch im Hause Ullstein sind schon die Umzugskisten gepackt. Berlin wird vom Verlagsstandort zum Markennamen  ■   Von Kolja Mensing

Gerade war alles gut. Thomas Brussig war da, mit Champagner: „Wir feiern jede neue Auflage von 'Helden wie wir‘“, erklärt Dietrich Simon, der Leiter des Verlags Volk & Welt. Noch schöner: Brussigs neuer Roman – „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ – hat sich schon schon 40.000-mal verkauft. Brussig ist ein Erfolgsschriftsteller, der einzige bei Volk & Welt: Die Umsätze des Verlags sind schlecht.

Darum hat der Besitzer – der Münchner Anwalt Dietrich von Boetticher – jetzt beschlossen, den kleinen Verlag Volk & Welt noch kleiner zu machen. Pressearbeit, Werbung und Herstellung werden von nun an in München erledigt, bei den Verlagen Luchterhand und Limes, die ebenfalls Boetticher gehören. Dietrich Simon sagt: „Es ist falsch, dass der Verlag nach München zieht. Richtig ist, dass Verlagsanteile umziehen.“

Doch die Ankündigung, dass das Lektorat des Verlages in Berlin bleibt, bedeutet eben: Dietrich Simon und seine Kollegin Christina Links werden von jetzt ab allein in dem großen Konferenzzimmer an der Oranienstraße sitzen. Aus dem DDR-Verlag, der einmal 130 Mitarbeiter hatte, ist die Berliner Zwei-Personen-Dependance einer mittelgroßen Münchner Verlagsgruppe geworden: Volk & Welt wird immer weniger Volk & Welt. Wie lange Besitzer Boetticher – der vor drei Jahren die Wochenpost über Nacht eingestellt hat – überhaupt noch in das defizitäre Unternehmen Literatur investieren will, ist auch nicht klar. „Ich kann nicht nur Wohltäter sein, sondern muss auch kaufmännische Vernunft walten lassen“, hat er dem Börsenblatt erklärt. Sollte er irgendwann an einen Großkonzern verkaufen – es würde weitere Schlankheitskuren geben.

Volk & Welt bekommt nicht als einziger traditionsreicher Verlag zu spüren, dass die kaufmännische Vernunft ihren Sitz nicht in Berlin hat. Auch der 1877 gegründete Ullstein Verlag, den heute die Axel Springer AG besitzt, wird zur Zeit eng an das zum Konzern gehörende Münchner Verlagshaus Goethestraße angeschlossen. Die Rentabilitätsgrenze für einen Verlag liege „bekanntlich bei einer Million Umsatz pro Mitarbeiter“, hatte Springers Buch-Chef Christian Strasser bekanntgegeben – ein Planziel, das Ullstein bisher nur zu vierzig Prozent erreichte (und von dem man bei Volk & Welt nur träumt). Also wird Strasser sich von nun an als Gesamtgeschäftsführer um ein ganzes Bündel von – weitgehend in München ansässigen Verlagen – kümmern: unter anderem Claasen, Econ und List.

Der Ullstein Taschenbuchverlag wird jetzt dazugeordnet und umgesiedelt, und auch das Hardcover-Programm ist Teil des Pakets – bleibt allerdings in personell abgespeckter Variante in Berlin. Die Hauptstadt taugt offenbar nicht mehr als vollwertiger Verlagsstandort: Das Buchgeschäft wird von Gütersloh (Bertelsmann), Stuttgart (Holtzbrinck) oder eben München aus ferngesteuert. Dabei war Berlin vor einigen Jahren noch die schönste Projektionsfläche für verlegerische Unternehmungen. Alle wollten dabeisein: Rowohlt gründete Rowohlt.Berlin, Eichborn gründete Eichborn.Berlin, und selbst in der entschleunigten Suhrkamp-Zentrale gab es vor drei Jahren Überlegungen, einen Berliner Ableger zu installieren. „Berlin“ war Metonymie, stand für eine Literatur mit den Prädikaten „neu“, „jung“, „osteuropäisch“ oder einfach nur „hauptstädtisch“. Osteuropa funktionierte nicht, das mussten vor allem Volk & Welt, aber auch Rowohlt.Berlin merken. „Neu“ und „jung“ funktioniert immer besser, aber trotzdem wurden in Berlin keine verlegerischen Erfolgsgeschichten geschrieben.

Dietrich Simon macht dafür vor allem die Veränderung auf dem Buchmarkt verantworlich. Wenige Spitzentitel werden in kürzester Zeit produziert und verkauft, die Investionen steigen, die Backlist wird immer kleiner, kurz: heavy rotation. „Dafür“, erklärt Simon, „ist die Kapitaldecke der kleinen Berliner Verlage einfach zu dünn“ – womit man wieder in Gütersloh, in Stuttgart und München wäre.

Ganz ohne Berlin geht es aber nicht. Rest-Ullstein zum Beispiel wird „Ullstein Berlin“ heißen, und auch wenn die Großverlage und Konzerne Man Power aus der Hauptstadt abziehen: Büros werden bleiben, zur Not, wie bei Eichborn, von einer Person besetzt.

Was man mit Berlin und Berliner Literatur zehn Jahre nach dem Mauerfall verbindet, ist unklar – und auch in den Verlagsprogrammen kaum zu erkennen. Ullstein Berlin startet zwar gerade mit einem höchst hauptstädischem Titel – Rudolf Scharpings „Wir dürfen nicht wegsehen“ – wird dann allerdings einfach irgend etwas machen: ein bisschen amerikanische Literatur, ein bisschen deutsche Literatur, vielleicht noch jüdische Literatur. Anything goes. Und was zu poppig für Ullstein ist, kommt ins Verlagsimprint Quadriga. Sieht man das Programm von Eichborn.Berlin durch, hat man den gleichen Eindruck: M.G. Burgheims Verschwörungsroman „Future Pop“ steht neben Christopher Marlowes „Sämtliche Dramen“. Und auch das ambitionierte Osteuropaprogramm von Rowohlt.Berlin ist inzwischen amerikanisch unterwandert: Aus der Metonymie ist ein Label geworden – „Berlin“ ist eine Marke, eine Orientierungshilfe zwischen den 80.000 jährlichen Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt.

Man mag sich kulturkritisch darüber ärgern, dass inzwischen auch auf dem Buchmarkt die Verpackung mehr zählt als der Inhalt. Man kann es allerdings auch neohegelianisch als späte Rache des Überbaus an der Basis deuten – als Sieg des Etiketts über das Kapital: Die Welt ist ein Supermarkt, und Berlin ist dabei.

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