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Das kleine Rotweinwunder

Deutsche Rotweine waren und sind Fruchtbonbons in Flüssigform. Doch eine kleine Schar weltgereister Weinbauern hat dem Elend ein Ende bereitet. Den neuen Winzern gelingen neuerdings seidige und sinnliche Spätburgunder. Der Jahrgang 1997 – jetzt auf dem Markt – brachte die besten Roten, die je an Rhein, Main und Neckar erzeugt wurden Von Eberhard Schäfer

Der Spott der Nachbarn war Bernhard Huber gewiss: „Muss das sein, sich so einen Schinderbuckel zu kaufen!“, hieß es im Dorf. Keine Frage: Für Huber musste es sein. Er kaufte den steil aufragenden steinigen Hügel „Hecklinger Schlossberg“. Für den leisen Perfektionisten aus Malterdingen eine echte Spitzenlage, die er mit dem legendären Corton-Charlemagne im Burgund vergleicht. Der Boden aus Muschelkalk saugt das gleißende Sonnenlicht förmlich auf; man spürt die Wärme, die von den dicken Gesteinsbrocken reflektiert wird. Bis der bedächtige Weinbauer hier seinen ersten Spätburgunder erntet, werden noch Jahre vergehen. Aber Huber hat Ausdauer. Seit zwölf Jahren feilt er an flüssigen Preziosen eines neuen Rotweinstils.

Und er ist nicht allein. Huber gehört zur Elite von inzwischen etwa zwanzig Winzern, die in den letzten Jahren mit ihren Spätburgundern Furore machten. Knochenarbeit in steilen Weinbergen, Experimentierlust im Keller mit dem Barrique, dem kleinen Fass aus französischer Eiche, Studienreisen nach Kalifornien und ins Burgund – der Aufwand zahlt sich allmählich aus. Bei Namen wie Huber, Knipser, Dautel, Meyer-Näkel, Heger oder Fürst klingeln in der Weinszene die Glocken, bei den Winzern die Kasse.

Dass deutscher Rotwein tatsächlich konkurrieren kann, hat vor allem ein Saft aus der Hand Bernhard Hubers bewiesen. 1997, bei einer Profiverkostung der weltweit angesehensten Spitzen-Pinot-Noirs – so der französische Name für den kapriziösen Spätburgunder – belegte sein Topgewächs des Jahrgangs 1995 Rang sieben – noch vor der Burgunderlegende Romanée-Conti, bei dem ein Fläschchen tausend Mark kosten kann. Erstmals hatte ein deutscher Rotspon im Wettbewerb unter Spitzenweinen aus aller Welt mitgehalten. Das hat seinen Preis: Hubers 95er Prestigewein gab's für 42 Mark, der Folgejahrgang war bereits zehn Mark teurer. Im internationalen Maßstab ist das noch billig. Für die besten roten Burgunder sind dreistellige Summen normal.

Hubers Kollege Joachim Heger hat seinen Betrieb gleich um die Ecke, in Ihringen an den Hängen des Kaiserstuhls. Heger wurde 1998 von der Gault-Millau-Jury zum „Aufsteiger des Jahres“ gewählt, sein bester Spätburgunder gehört Jahr für Jahr zu den schönsten Roten Deutschlands. Auch er ist tieffarbig, im Ertrag stark reduziert, mit kräftigem Gerbstoffgerüst und im Eichenholz ausgebaut. Auch Heger beweist, dass deutscher Rotwein Saft und Kraft und auch Lagerpotenzial haben kann. Doch in den meisten Betrieben wird noch immer Plörre erzeugt. Die Hauptsünden: Die Erträge sind viel zu hoch, die Einmaischung des Mostes mit den farb- und gerbstoffspendenden Beerenhäuten ist zu kurz. Stattdessen wird der Wein erhitzt, um ihm etwas Farbe und einen oft ekligen Rotkohlgeschmack zu geben.

Es geht auch anders: Rudolf Fürst aus dem fränkischen Bürgstadt werden seine roten, nach langer traditioneller Maischegärung erzeugten Spitzenweine aus den Händen gerissen; in der Pfalz versuchen sich die Brüder Knipser mit französischen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon und der Mittelmeerrebe Syrah. Heraus kommen für heimische Produkte eher untypische Säfte, die nach Leder und Lakritz duften. An der Ahr gelingen dem Autodidakten Werner Näkel kleine Rotweinwunder. Der frühere Lehrer hat jetzt in südafrikanische Weinberge investiert.

Näkel geht nach Übersee, Karl-Heinz Johner, ein anderer Vorkämpfer des neuen deutschen Rotweins, kommt von dort. Seine Winery am Rande Bischoffingens am Kaiserstuhl würde in Kalifornien weniger auffallen als in südwestdeutscher Provinz. Seine Rotweine waren die ersten aus Deutschland, die international Beachtung fanden. Mittlerweile mischt, nach umfänglichen Studien in Burgund, auch der 27-jährige Sohn Patrick im Weinberg und Keller mit. Der ist ein wahres Laboratorium. Vater und Sohn befüllen Fässer aus verschiedenen Eichensorten: Allier und Nevers. Die eine verleiht dem Wein dezentere, die andere kräftigere Holzaromen. Die Jury des deutschen Gault-Millau-Weinguides kürte den Johnerschen Selektionsspätburgunder „SJ“ zum besten Rotwein des Jahrgangs 1996.

Bei Johner ist aber auch die Kehrseite des Rotweinwunders zu besichtigen. Der Bischoffinger Aufsteiger konzentriert seine Moste neuerdings mit Hilfe aufwendiger und umstrittener technischer Apparaturen, die an Kirchenorgeln erinnern. Der Vakuumkaltverdampfer entzieht dem Most künstlich Wasser. Resultat: Die Weine werden fetter, konzentrierter, alkoholreicher. Turbomost aus der Retorte?

Skeptiker sehen ein Ende der Natürlichkeit und wenden ein, mit der Mostkonzentration erziele man zwar dicke Säfte, die beim ersten Schluck die Geschmacksnerven betören, die aber schnell satt machen. Zudem gehe der typische Lagencharakter verloren, die Weine schmecken „gemacht“. Die Johners ficht das nicht an. Sie berufen sich auf die besten Bordeaux-ChÛteaus, die es genauso machen. Der Streit wird weitergehen.

Auch Bernhard Huber hat mit der Mostkonzentration experimentiert, ist aber wieder davon abgerückt. Die Arbeit im Weinberg ist dem bodenständigen Mann wichtiger als technische Gerätschaft. Als er anfing, überzählige Trauben von den Weinstöcken zu schneiden, empörte sich die eingeborene Winzerschaft. Für sie gilt das alte Prinzip: „Man muss wachsen lassen, was der Herrgott wachsen lässt.“ Doch Huber dünnt seine bis zu 45 Jahre alten, tief im Muschelkalkgestein wurzelnden Reben rigoros aus, damit die verbleibenden Trauben umso mehr Saft und Kraft speichern.

Was dabei herauskommt, demonstriert der aktuelle 1997er Jahrgang. Der Spätburgunder aus den alten Reben, zwanzig Monate lang in Barriques gelagert, erfüllt Zunge und Gaumen mit wonniger Fülle. Nachteil: Noch nie war Zähneputzen so lästig.

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