■ Das türkische Militär garantiert den laizistischen Staat und außen- politischen Einfluss. Darin sind sich sogar viele Linke dort einig
: Das deutsch-türkische Dilemma

Mit der Türkei-Politik der Grünen können viele türkische Politiker nichts anfangen

Was will die Türkei, genauer gesagt das türkische Militär eigentlich mit 1.000 Leopard-II-Panzern? Noch während man über diese Frage heftig diskutierte, wurde bekannt, dass sich nicht nur das türkische Heer für den Leopard-II-Panzer interessiert, sondern die Marine bereits Minenjagdboote im Wert von einer schlappen Milliarde Mark bestellt hatte, die Luftwaffe neue Hubschrauber kaufen will und darüber hinaus noch von Haubitzen, Maschinengewehren und nicht zuletzt einem Giftgaslabor die Rede ist. Wer die Meldungen der letzten Woche verfolgt hat, muss den Eindruck haben, das türkische Militär hätte seine vorgezogene Weihnachtsgratifikation bekommen und wollte damit nun in Deutschland shoppen gehen. Das ist, wie immer in solchen Fällen, auch eine Wahrnehmungsfrage.

Wenn erst einmal ein Skandal entdeckt ist, schaut man genauer hin und sieht plötzlich noch ganz viele andere vermeintliche Besonderheiten, die der öffentlichen Aufmerksamkeit unter anderen Umständen völlig entgangen wären. Das trifft auch für die deutsch-türkische Rüstungskooperation zu. Die Aufreger der letzten Tage sind, bei Licht besehen, bis auf das Panzergeschäft, business as usual. Die deutsch-türkische Rüstungskooperation läuft seit gut 30 Jahren und hat deshalb alle Hochs und Tiefs im Verhältnis beider Länder meist unbeschadet überstanden – zumal es nicht nur ein bilaterales Geschäft ist, sondern die Bundesrepublik durch die Unterstützung der türkischen Armee einen Teil ihrer internen Nato-Verpflichtung im Rahmen des Lastenausgleichs zwischen armen und reichen Mitgliedsländern erfüllt.

Damit ist auch schon ein kleinerer Teil der Frage „Was will die türkische Armee mit den Panzern?“ beantwortet. Die Streitkräfteplanung der Türkei ist nicht nur eine interne Angelegenheit der hiesigen Militärs, sondern auch ein Teil der Nato-Gesamtplanung. Dazu gehört, dass die Nato und allen voran die Vormacht USA auf Kompatibilität der Waffensysteme drängt. Obwohl die Türkei im Nato-Vergleich einen hohen Anteil des Bruttosozialprodukts in die Verteidigung investiert, sind die Waffensysteme der zweitgrößten Nato-Armee veraltet und müssen nach Auffassung der Planer dringend modernisiert werden, um den Anschluss an die Allianzpartner zu halten.

Aus Sicht des türkischen Militärs gibt es aber auch genügend ureigene Interessen, die die Modernisierung und Aufrüstung ihrer Streitkräfte zwingend notwendig machen. Hört man sich die hiesigen Bedrohungsszenarien an, ist das Land auch nach dem Ende des Kalten Krieges von Feinden umzingelt. Im Nordosten dräut der unberechenbare Transkaukasus, im Osten die Perser, mit denen schon das Osmanische Reich in Dauerfehde lag, und im Süden sind Irak und Syrien ja auch nicht die bequemsten Nachbarn. Nur im Westen entspannt sich die Lage mit dem Nato-Partner Griechenland gerade. Bulgarien im Norden bereitet ohnehin keine Probleme.

Im Gegensatz zum Binnenverhältnis von Westeuropa, USA und Japan, wo die Ökonomie das Militär als Machtfaktor längst verdrängt hat, zählt an der Grenze von Europa, Nahost und Kaukasus immer noch die Währung militärischer Macht. In dieser Auffassung sieht das Militär sich bestätigt, wenn Syrien seine Unterstützung für die PKK und Abdullah Öcalan prompt einstellt, nachdem an der Grenze Panzer aufgefahren sind und Israels Premier Barak die Zusammenarbeit der beiden stärksten Militärmächte der Region hervorhebt. Wo stünde die Türkei ohne ihre starke Armee?

Die außenpolitische Bedeutung der Türkei ist nach wie vor in hohem Maße von ihrer militärischen Stärke abhängig. Das vor allem macht sie für die USA so wertvoll und, so glaubt man wenigstens in Ankara, verschafft ihr auch in Europa Respekt.

Diesen Eindruck teilt auch ein großer Teil der türkischen Bevölkerung. Deshalb ist zwar der Hinweis von Außenminister Fischer richtig, dass angesichts der Probleme des Landes Investitionen in die Aufrüstung doch wohl die falsche Priorität seien, vom größten Teil der türkischen Öffentlichkeit wird diese Kritik jedoch nicht geteilt. Die deutsche Panzerdebatte hat deshalb auch in der Türkei keine größere Resonanz gehabt, zumal die Sache als solche hier längst durch ist. Vor rund einem Jahr hat der Generalstab der türkischen Armee beschlossen, ein über zehn Jahre gestrecktes milliardenschweres Modernisierungsprogramm für alle drei Teilstreitkräfte aufzulegen. Das Parlament hat dieses Vorhaben abgenickt, eine große Debatte gab es deshalb nicht. Auch nach dem Erdbeben redet hier niemand davon, Mittel aus dem Rüstungsetat für Wiederaufbauprojekte umzuschichten – das Militär ist in der Türkei immer noch so weit eine Welt für sich, dass es sich der Konkurrenz um die zu verteilenden staatlichen Mittel nicht stellen muss. Noch stellt das auch niemand in Frage. Selbst Menschenrechtsgruppen machen in der Türkei keinen Zusammenhang zwischen Panzer und Folter geltend. Was von außen wie eine Unterstützung eines repressiven Regimes wirkt, stellt sich im Innern naturgemäß immer etwas komplizierter dar. Für viele Linke in der Türkei ist das Militär, wenn es hart auf hart kommt, vorläufig einmal der entscheidende Garant für die laizistische, westliche Orientierung des Landes und erst dann ein Hindernis bei der Demokratisierung. Wenn es darum geht, den politischen Islam einzudämmen, scheint auch Demokraten das Militär unverzichtbar.

Die Modernisierung der türkischen Armee wurde im Parlament problemlos abgenickt

Für die türkische Gesellschaft und erst recht für das türkische Militär ist die politische Auseinandersetzung in Deutschland deshalb nur schwer nachvollziehbar. Es gibt in der Türkei keine Partei wie die Grünen, die sich für türkische Migranten in Deutschland einsetzen, aber die Lage der Menschenrechte in der Türkei kritisieren, die für eine Annäherung der Türkei an Europa eintreten, aber eine militärische Zusammenarbeit als nicht hinnehmbare Zumutung empfinden. Aus türkischer Sicht würde man der Bundesregierung vielmehr einen Gefallen tun, wenn der größte Einzelposten in dem gesamten Aufrüstungsprogramm nicht an die USA, Frankreich oder gar die Ukraine, sondern an Deutschland ginge – selbst wenn der Leopard II etwas teurer sein sollte als die anderen Angebote. Die türkische Rüstungsindustrie arbeitet mit Krauss-Maffai seit langem eng zusammen, der Leopard I wird in der Türkei in Lizenz produziert, und auch der Leopard II soll ja hier zusammengebaut werden. Man kann also auf einen Teil der Anlagen und vertraute Technik zurückgreifen. Selbst auf die Gefahr hin, die Amerikaner vor den Kopf zu stoßen, spräche also viel dafür, sich für den Leopard II zu entscheiden. Wenn da nicht die Irritationen mit den merkwürdigen Grünen wären.

Jürgen Gottschlich