: Mit Lanzen gegen Zahnstocher
Die Rahmenbedingungen, das eigene Unternehmen, alte und neue Technik: Warum die Deutsche Bahn AG und ihre Tochterfirmen immer mehr Güter an die Straßenspediteure verliert ■ Aus Berlin Annette Jensen
Güterverkehr ohne Grenzen: Seit die EU vorschreibt, dass jeder Spediteuer in jedem Mitgliedsland unbeschränkt fahren darf, sind die Transportpreise um 60 Prozent gesunken. Immer mehr Güter durchqueren Deutschland. Wurden 1992 noch 396 Milliarden Tonnenkilometer (tkm) gefahren, so ist die Menge inzwischen bis auf 468 Milliarden tkm angeschwollen. Experten gehen davon aus, dass es in den kommenden Jahren so weitergehen wird.
Der überwiegende Teil wird von einer immer kleineren, schlagkräftigen Spediteursgruppe auf der Straße abgewickelt. Die Bahn hielt im vergangenen Jahr knapp 16 Prozent – Tendenz sinkend; 67 Prozent werden dagegen mit Lkws gefahren – Tendenz steigend. Der Rest entfällt auf Schiffe, Pipelines und Flugzeuge. Der kombinierte Verkehr (KV), bei dem Güter abwechselnd auf Schiene und Straße transportiert werden, ist marginal: DB Cargo transportierte 1998 auf diese Weise gerade einmal 10 Milliarden Tonnenkilometer.
Dass die Bahn immer weiter abgehängt wird, liegt zum größeren Teil an den gegenwärtigen Marktbedingungen und zum kleineren Teil an ihr selbst. Die Konkurrenz ist erdrückend: Etwa 2 Mark pro Kilometer kostet es einen Auftraggeber, wenn er einen Lkw bestellt. Wer einen polnischen Spediteur findet, der gerade noch eine Fuhre frei hat, kommt vielleicht sogar mit nur 1,60 Mark für einen 40-Tonner hin.
Straßengebühren gibt es hierzulande bekanntlich nicht, während beim Einsatz eines Güterzugs allein für die Benutzung der Trasse durchschnittlich 8 bis 10 Mark por Kilometer fällig werden. Das Ergebnis der für Güterverkehr zuständigen DB Cargo ist entsprechend schlecht: Im ersten Halbjahr ging ihr Verkehrsaufkommen erneut um 6 Prozent zurück. „Der Lkw-Verkehr hat eine Lanze, die Bahn kämpft mit dem Zahnstocher“, kommentiert DB-Cargo-Sprecher Michael Adam die verkehrspolitische Situation.
Die DB Cargo konzentriert sich auf große Mengen, die hunderte von Kilometern unterwegs sind. Fatalerweise entwickeln sich die Warenströme jedoch in eine ganz andere Richtung: Immer mehr Auftraggeber fordern häufige und dafür kleinere Lieferungen. Wer dem Kunden das gewünschet Bett oder Buch liefern will, kann nicht auf die Zusammenstellung langer Züge warten.
Doch die Deutsche Bahn AG weigert sich, sich auf diese veränderten Rahmenbedingungen einzustellen. DB Cargo setzt auf Wagenladungsverkehr – möglichst in Ganzzügen. Hunderte von Gleisanschlüssen wurden in den vergangenen Jahren stillgelegt, weil die Firmen nicht die geforderten Gütermengen garantieren konnten. Auch die direkte Zusammenarbeit der DB Cargo mit den 100 bereits existierenden Güterbahnen in Deutschland läuft wenig kooperativ ab. „Oft handelt die DB Cargo nach dem Motto: Entweder wir fahren den Transport selber – oder keiner soll ihn fahren“, hat VCD-Bahnexperte Rainer Bohnet beobachtet. So lässt die DB ihre ausrangierten Loks lieber verschrotten, als sie günstig abzugeben, und schneidet sich von möglichen Warenzulieferungen ab.
Während in der Schweiz Güter an fast jedem Bahnhof vom Zug auf den Lkw oder umgekehrt „umsteigen“ können, weil die in der Abfertigung preisgünstigen und einfach zu bedienenden Abrollcontainer benutzt werden, existiert hierzulande nur die teure Möglichkeit einer Umladung per Krahn. Auch deshalb spielt der kombinierte Verkehr hierzulande so gut wie keine Rolle.
Die DB Netz, die die Schienen unterhält und dafür Trassenpreise erhebt, unterstützt ihr Schwesterunternehmen DB Cargo bei ihrer Strategie „Ausschließlich fern und viel“. Zum einen hat die DB Netz festgelegt, dass für einen Zug mit der Höchstlänge von 600 Metern genauso viel Nutzungsgebühr zu zahlen ist wie für eine Lok mit zwei Waggons. Zum zweiten bekommt die DB Cargo beim Bestellen von Schienennutzungszeiten günstige Mengenrabatte. Die Konkurrenten gehen davon aus, dass sie auf diese Weise 35 Prozent billiger fährt als sie selbst und beschwerten sich deshalb beim Bundeskartellamt. Mit Erfolg: Inzwischen läuft ein Verfahren gegen die DB AG wegen Monopolmissbrauchs. Und auch die EU-Kommission macht Druck, dass es auf deutschen Schienen gerechter zugehen müsse.
Doch auch im Unternehmen DB Cargo selbst liegen Ursachen für die katastrophale wirtschaftliche Entwicklung: Sogar unter sehr günstigen Rahmenbedingungen nutzt sie ihre Chance nicht. Bei der Großbaustelle im Berliner Regierungsviertel genießen Transporteure, die ihre Ware bis zum Hamburg-Lehrter Güterbahnhof anliefern lassen und nur die letzten Meter per Lkw zurücklegen, enorme Preisvorteile. Nur 50 Mark müssen sie bezahlen, um auf das Gelände fahren zu dürfen. Ein Laster aus Erfurt, Hamburg oder Kopenhagen wird dagegen mit 495 Mark belastet. Aber auch in der Rohbauphase, in der große Mengen Stahl, Stein und Beton gebraucht wurden, brachte es die Bahn nur auf einen Transportanteil von knapp 15 Prozent.
„Zu langsam, unflexibel und unzuverlässig“ lautet das Urteil vieler Kunden. Viele der 145.000 Waggons sind schon recht alt und haben entsprechend oft Schäden. Hinzu kommt, dass Personenzügen bei Engpässen auf den Schienen Vorrang eingeräumt wird und in vielen großen Rangierbahnhöfen am Wochenende nicht gearbeitet wird.
Nicht alle sind der Meinung, dass sich grundsätzlich auf der Schiene nur große Mengen auf langen Strecken rechnen. „Die Schiene ist prädestiniert für Automatisierung“, sagt Professor Jörg Schönharting von der Universität Gesamthochschule Essen. Zusammen mit einem Industrieunternehmen entwickelt er zur Zeit funkgesteuerte Einzelwagen, die dem Lkw wieder Marktanteile abluchsen sollen. Durch den Verzicht auf einen Fahrer hätte das Vehikel auf den Gleisen einen deutlichen Kostenvorteil. Voraussetzung für einen ökonomischen Durchbruch wäre allerdings, dass die DB Netz für die Einzelwagen nicht den gleichen Preis verlangt wie für einen langen Zug.
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