: Die warten da auf mich“
Ein junger Kurde zündet sich bei einem Abschiebungsversuch selbst an. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchter Brandstiftung. Die Ausländerbehörde will weiterhin abschieben ■ Aus Münster Marcus Termeer
Inzwischen ist das Verfahren wegen versuchter Brandstiftung gegen Mesut M. (*) eingestellt. Die zuständige Bochumer Staatsanwaltschaft geht nach fast zweimonatiger Ermittlung von einer „persönlichen Ausnahmesituation“ aus. Anfang August zündete sich der 22-jährige Kurde aus dem westfälischen Ahlen bei einem Abschiebungsversuch während der Fahrt zum Flughafen Düsseldorf mit seinem Feuerzeug an und erlitt lebensgefährliche Verbrennungen an Oberkörper, linkem Oberschenkel, linkem Arm. 10 Wochen verbrachte er in einer Gelsenkirchener Spezialklinik.
Seit Mai 1996 lebt Mesut M. in Ahlen. Im April 1999 wurde sein Asylantrag rechtskräftig abgelehnt. Damit war er ausreisepflichtig. Die Ausländerbehörde (ABH) des Kreises Warendorf durfte ihn abschieben. M.s Aufenthaltsgestattung, für das Asylverfahren vorläufig datiert bis zum 31. August, war jedoch in seinen Händen geblieben, samt Arbeitserlaubnis. Mit Abschiebung hat er daher nicht gerechnet. „Das war wie ein Schock.“
In der Zeitung Özgür Politika und mehrfach im kurdischen Sender Med-TV ist über den Abschiebeversuch berichtet worden. Mit voller Namensnennung. Den türkischen Behörden wird jemand, der sich so gegen seine Rückführung wehrt, verdächtig sein. Zumal dann, wenn es eine „Vorverfolgungsgeschichte“ gibt. Vor seiner Flucht aus der Türkei ist M. nach eigenen Angaben als PKK-Sympathisant mehrmals verhaftet und schwer gefoltert worden. Sein Asylfolgeantrag ist allerdings soeben vom Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als „unbeachtlich“ abgelehnt worden. Dagegen wird sein Anwalt jetzt beim Verwaltungsgericht (VG) Münster klagen und einen Eilantrag stellen. Der hätte bei positivem Bescheid aufschiebende Wirkung.
Anfang August: Morgens um kurz nach sieben wird M. an seinem Arbeitsplatz, einer Beckumer Großschlachterei, abgeholt. In den Aufenthaltsraum sei er geschickt worden, erzählt er. Hier hätten ihm zwei Beamte „überfallartig“ Handschellen angelegt und ihn kurzerhand in den Bulli verfrachtet – in weißer Schlachterkleidung aus leicht brennbarem Baumwoll-Kunststoff-Gemisch und Gummistiefeln, mit Schweineblut besudelt. Vor den Augen der Kollegen und des Vaters, der auch dort arbeitet. Der Betriebsleiter Frank Wesemann bestätigt M.s Angaben. „Ich habe ständig gebeten, einen Anwalt anrufen zu dürfen“, sagt M.. „Die haben nur gesagt, das Flugzeug wartet.“ Dass die Beamten Ersatzpapiere für ihn dabei haben mussten, habe er, der selbst keinen Pass habe, nicht gewusst.
Während der Fahrt durfte M. rauchen. „Ich hatte große Angst vor der Türkei, verhaftet zu werden und zu 'verschwinden‘.“ Die vor Jahren erlittene Folter „wollte ich nicht noch einmal erleben“. Einen Blitzgedanken habe er gehabt: „Lieber gleich sterben, und schnell“. Da habe er sich angezündet. Brennend und plötzlich in Panik habe er immer wieder geschrien: „Nehmt mir die Handschellen ab!“ Die Beamten hätten gestoppt, ihn herausgelassen, er habe sich am Boden gewälzt, um das Feuer zu löschen, noch immer hätten sie die Handschellen nicht gelöst. Dann hätten sie es versucht, aber die Fesseln seien zu heiß gewesen. „Dann weiß ich nichts mehr.“ Bei dieser Schilderung zeigt M. seine Handgelenke, die Narben, die die glühenden Fesseln hinterlassen haben.
Der Darstellung Stefan Holtstieges, Ordnungsamtsleiter des Kreises Warendorf und oberster Vorgesetzter der Ausländerbehörde („Bis er wieder reisefähig ist, kriegt er selbstverständlich eine Duldung.“) ist all das nicht zu entnehmen. Einen Hinweis auf Suizidgefahr hätte es nicht gegeben. Besondere Vorkommnisse bei der Festnahme auch nicht. Die wäre recht ruhig verlaufen. M. hätte seine persönlichen Sachen aus dem Spind holen und sich Telefonnummern notieren können. Beim Rauchen habe er sich „irgendwie im Nachgang“ angezündet. Die Beamten hätten sich bei der sofortigen Rettung selbst verletzt.
Die Eröffnung eines Verfahrens auch gegen sie, wegen möglicher fahrlässiger Körperverletzung, wurde nach den Vorermittlungen abgelehnt. Dabei hat die Schlachterkleidung keine Rolle gespielt. Die, meint der Bochumer Oberstaatsanwalt Wolfgang Dörsch allerdings, sei „nun nicht das Reisekleid par excellence“. Amtsleiter Holtstiege: „So etwas haben wir öfter“, um eine „Eskalation“ zu vermeiden, würde der Betroffene so ins Auto gesetzt, wie man ihn antreffe. Er wisse ja, „dass er sich am Flughafen umziehen kann“. Was M. entschieden bestreitet. Niemand habe ihm das gesagt, und seine Privatkleidung sei nicht in den Bulli gebracht worden. Er habe sich dann so aus dem Flugzeug steigen sehen. In blutiger Schlachterkleidung, ohne Geld und Papiere. Als Kurde in Istanbul. Den Behörden bekannt.
Die Äußerungen Holtstieges belegen für Volker Maria Hügel vom Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Pro Asyl „nur allzu deutlich, wie wenig die geschilderten Umstände den Beamten als unwürdig oder gar skandalös auffielen“. Der ihm von M.s Eltern – der Vater ist in zweiter Ehe mit einer Deutschen verheiratet – geschilderte Anruf des zuständigen Sachbearbeiters der ABH sei „grausam und absolut nicht mehr nachzuvollziehen“ gewesen. Dieser hätte noch am Abend nach der Selbstanzündung geäußert, M. solle nicht glauben, nun nicht mehr abgeschoben zu werden, er habe seine Situation vielmehr verschlimmert.
Der Kreis Warendorf sei, so Hügel, „bekannt dafür, mit unnötiger Härte Abschiebungen durchzuführen“. In diesem Fall habe es sehr wohl im Ermessen der Behörde gelegen, eine Abschiebung als außergewöhnliche Härte zu sehen. „M.s Angehörige leben hier, er ist integriert und lebt nicht von der Sozialhilfe.“ Zudem habe die Lage in der Türkei nach dem Todesurteil gegen Öcalan berücksichtigt werden müssen. M.s Vater berichtet von sieben kürzlich verhafteten Familienmitgliedern in seinem Heimatdorf. Mesut M. hat Angst, wieder mit den gleichen Beamten konfrontiert zu werden. Er wird noch längere Zeit tägliche Pflege benötigen. Astrid Kiepert, Flüchtlingsberaterin des Kirchenkreises Gelsenkirchen, hält ihn zudem für „absolut traumatisiert“. Ein Amtsarzt wird demnächst über seine Reisefähigkeit urteilen. Und M. muss warten, ob das VG Münster seinem Eilantrag stattgibt. Für ihn ist klar: In die Türkei kann er nicht zurück. „Da ist mein Name bekannt. Die warten da auf mich.“
(*) Name geändert
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