: „Nicht depressiver als die meisten anderen auch“
■ Wie das Leben des 17-jährigen Nestor Z. aus Burkina Faso auf einem Flüchtlingsschiff in Neumühlen endete
Den Wachpförtnern hatte Nestor Z. „Tschüss“ gesagt, bevor er das Schiff verließ. Auf der Gangway zog er sich die Schuhe aus und sprang mit dem Kopf voran in die Elbe. Die Feuerwehr konnte nur noch die Leiche bergen. So endete Mitte Oktober das Leben des Flüchtlings aus Burkina Faso.
Der 17-Jährige lebte auf einem der beiden Wohnschiffe in Neumühlen, der zentralen Erstsammel-unterkunft für erwachsene Asylsuchende in Hamburg. Die Schiffe sind gnadenlos überfüllt. „Wir sind hier mit 25 Prozent überbelegt“, sagt Dieter Norten, Leiter der Wohnunterkünfte des Landesbetriebes „pflegen & wohnen“. Er nennt Zahlen von 730 Bewohnern auf der „Bibby Challenge“ und 650 auf der „Bibby Altona“. Eine Sozialarbeiterin spricht von 900 Personen auf der „Challenge“.
Norten weiß, „mehr als Verwahren ist hier im Moment nicht drin.“ Zehn Sozialarbeiter arbeiten für die Masse von Flüchtlingen verschiedenen Alters aus unterschiedlichen Nationen. Die Kontaktaufnahme zu ihnen ist „freiwillig“: Nicht die Sozialarbeiter kommen zu den Flüchtlingen, diese müssen jene in ihren Büros auf dem Schiff aufsuchen. Auch Norten räumt ein: „Unter Sozialarbeit verstehe ich etwas anderes.“
Nestor Z. war den Sozialarbeitern bekannt. Er hatte sie aufgesucht, nachdem er sich bei einem Streit Schnittverletzungen im Gesicht zugezogen hatte und ins Krankenhaus gebracht werden musste. Bewohner, die ihn kannten, wuss-ten, dass er zudem psychische Probleme hatte. Auf die Sozialarbeiterin wirkte er „nicht depressiver als die meisten anderen auch“.
Nestor Z. war 17 Jahre alt, als er – ohne Eltern – aus Burkina Faso hierher geflohen ist. Hier wurde er wie ein Erwachsener behandelt. Denn in der Bundesrepublik gelten schon 16jährige Flüchtlinge als asylmündig. Sie müssen ihren Asylantrag selbst einreichen und sind auch in den Unterkünften auf sich allein gestellt. Anders ist es bei unbegleiteten Flüchtlingen, die unter 16 Jahre alt sind. Zwar ist auch für Kinder die Chance auf Einreise in die BRD seit Inkrafttreten des neuen Asylrechts 1993 extrem gering. Aber haben sie die Grenze überschritten, muss auf sie immerhin das Jugendhilferecht angewendet werden. Darin ist eine kind- bzw. jugendgerechte Unterbringung mit entsprechender Betreuung vorgeschrieben. Den unter 16-Jährigen wird ein Vormund zur Seite gestellt. Nestor Z. hatte keinen Betreuer.
Fachleute aus der Jugendhilfe, Mediziner und Organisationen wie „Terre des Hommes“ und „UNICEF“ fordern seit langem, dass für jugendliche Flüchtlinge prinzipiell die gleichen Rechte wie für deutsche Jugendliche gelten sollen. Auch der Leiter der Flüchtlingsambulanz im Uni-Krankenhaus Eppendorf, Dr. Hubertus Adam, lehnt die Ungleichbehandlung aus jugendpsychiatrischer Sicht ab. Er tritt dafür ein, den Flüchtlingen ein Angebot psychotherapeutischer Betreuung zu unterbreiten. „Allein durch die erheblichen Strapazen der Flucht sind die Menschen schwer belastet und psychisch destabilisiert.“ In der Hamburger Flüchtlingsambulanz wird deswegen auch unabhängig vom rechtlichen Status der Jugendlichen oder Familien geholfen.
Nach den UN-Kinderrechtskonventionen gelten alle unter 18-Jährigen als minderjährig. Im deutschen Kinder- und Jugendhilferecht wird jedem jungen Menschen „ein Recht auf Entwicklung und Erziehung“ zugesprochen. Die Altersgrenze ist definiert : 27 Jahre.
Tina Petersen
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