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Gleitcreme fürs Zuschauerauge

■  Sie ärgern sich über Werbeunterbrechungen im Privatfernsehen? Ganz falsch. Unbewusst, im tiefsten Inneren, sehnen Sie sich danach. Sagt jedenfalls ein Psychologe

Mittendrin. Der Mädchenmörder ist fast zur Strecke gebracht. Plötzlich schwebt ein RTL-Blondchen mit sinnlichem Blick durch das blau umwaberte Bild. Werbepause! Umschalten auf Vox. Doch fünf Minuten später auch dort: zwei ältliche Leutchen mit roter Kugel drängeln sich dazwischen, als Held und Heldin gerade in die Kissen sinken wollten.

Die fünfsekündigen kleinen Trailer ziehen so unerwünscht wie unvermeidlich Reklameblöcke nach sich. Immer dann, wenn es spannend wird. Und alles nur, weil im Staatsvertrag für Mediendienste steht: „Werbung muss als solche klar erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote eindeutig getrennt sein.“ Obacht, das kann gefährlich werden. Denn der Zuschauer, der erkennt, der trennt sich auch. Vom Kanal. Ganz schlecht für die Quote.

So denken die werbefinanzierten Privaten und suchen deshalb mit den kleinen Trailern nicht nur zu trennen, sondern auch zu verbinden – den Zuschauer über die Pause hinweg mit der laufenden Sendung. Bei Vox gelingt das manchmal so gut, dass sich der Zuschauer beim Umschnitt in den Trenner noch in der Naturreportage glaubt. Deshalb will Art-Director Torsten Lohrmann die rote Vox-Kugel „präsenter, zentrierter und leuchtender“ machen. „Die Kugel geht rund um die Welt. Die Welt gibt es bei Vox“, beschreibt er die Trenner-Idee des Senders, der stark auf Reisedokumentationen setzt. Das wird vermittelt durch „authentische Menschen vor Ort, die etwas Ungewöhnliches mit der Kugel anstellen“. Bisher in Toskanalandschaften. Für eine frische Staffel ist Lohrmann nach Neuseeland geflogen. Die neuen Trenner sollen ab nächster Woche zu sehen sein.

Sat.1 setzt auf Nähe, vor allem zum eigenen Programm. Jedes Format hat hier eigene Werbetrenner. „Unkompliziert soll es sein, mit dem Sat.1-Ball im Mittelpunkt“, sagt Design-Chef Christoph Kaul. Man sei dabei sehr „filmerisch“ und „organisch“ geworden: „Wir können den Ball brennen und explodieren lassen, ihn auseinandernehmen. Wer hätte früher den Ball angezündet? Das wäre undenkbar gewesen.“

Neue Wege hat auch Pro7 beschritten. Der Sender bastelte als Erster aus dem notwendigen Übel des Werbetrenners eine kunstvolle Programmkennung. Bei der im September angelaufenen Kampagne gibt es kein Hinübergleiten, keine Besänftigung: „Sie können die Augen jetzt wieder aufmachen. Werbung!“ „Wir wollen provozieren“, sagt Rudi Höppe von der Agentur „Seven Senses“.

Der abrupte Rausschmiss aus dem laufenden Film ist auf den zweiten Blick gar nicht so unverschämt. Nach Auskunft des Psychologen Stefan Grünewald sind Zuschauer nicht grundsätzlich sauer über Werbepausen. „Wir tun ja immer so – sich an Werbung zu stören, gehört zum guten Ton des aufgeklärten mündigen Bürgers.“ Der befinde sich aber während des Films eigentlich in einer Gefühlsentwicklung, deren Unterbrechung er in seinem tiefsten Inneren dankbar begrüße. Die Wurzeln dafür gingen bis zum Chorgesang des griechisch-antiken Dramas zurück. Er unterbrach die verstrickte Handlung bisweilen und erinnerte, dass es noch andere Dinge im Leben gab. „Heute sind das Autos und schöne Frauen und Tütensuppen“, sagt Grünewald. Der Unmut über die Pause rühre jedoch daher, dass danach der Wiedereinstieg schwer falle. „Dieser Ärger wird auf den Beginn des Ausstiegs rückprojiziert – den Anfang des Werbeblocks“, sagt der Psychologe, der im Senderauftrag Verbraucher in zweistündigen Tiefeninterviews befragt.

Die Privaten sorgen sich indes zu sehr um den empfindlichen Zuschauer. Nach einer Studie vom Sommer, bei der Forscher die Quoten von 4.000 zufällig ausgewählten Werbeblöcken untersuchten, zappen Verbraucher viel weniger weg als angenommen. In Umfragen geben zwar bis zu 50 Prozent von ihnen an, dass sie umschalten. Nach Auswertung der elektronischen Daten in Haushalten bleiben aber 80 Prozent dabei.

Margret Steffen

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