: Atomausbau statt Ausstieg
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird die Leistung des AKW Gundremmingen um zehn Prozent erhöht. Kritik vom Öko-Institut ■ Aus Memmingen Klaus Wittmann
Es sollte alles ohne großes Aufsehen über die Bühne gehen. Während die Spitzenpolitiker mit den Atommanagern über den Ausstieg aus der Atomenergie streiten, werden anderswo vollendete Tatsachen geschaffen. „Anderswo“ liegt einmal mehr in Bayern, und es ist das größte deutsche Atomkraftwerk, Gundremmingen.
Für 40 Millionen Mark wollen die Betreiber RWE und Bayernwerk die beiden Kühltürme und Reaktoren umbauen. Mit einem Teil der Umbaumaßnahmen ist bereits begonnen worden, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon erfahren hätte. Der gesamte Ausbau soll laut Kraftwerksleitung bis 2002 dauern. Am Ende wird eine Erhöhung der elektrischen Leistung von acht Prozent stehen.
Das Atomkraftwerk Gundremmingen soll pro Block von 1.344 auf 1.450 Megawatt hochgefahren werden. Mit dem dafür nötigen 10 Millionen Mark teuren Umbau der Kühltürme wurde bereits begonnen. Im März 2000 soll der Neueinbau von leistungsfähigeren Kondensatoren folgen, bestätigte Kraftwerkssprecher Manfried Lasch. Im Atomkraftwerk Gundremmingen soll der Druck von bislang 69,6 bar auf 72,6 bar erhöht werden. Die Umbauten wurden am 14. September von der RWE-AG beantragt.
„Die Wirkungsgradverbesserungen an den Kühltürmen und an den Kondensatoren haben wir mit Gutachtern und Behörden durchgesprochen. Eine Veröffentlichung in den Medien haben wir nicht vorgenommen“, so Lasch. Das sei zum derzeitigen Zeitpunkt auch nicht erforderlich, meinen die Kraftwerksbetreiber und das Bayerische Umweltministerium übereinstimmend. Ministeriumssprecher Stefan Graf sagt, nach Abschluss des gerade erst anlaufenden Genehmigungsverfahrens wäre eine Information über den Staatsanzeiger und Bundesanzeiger erfolgt.
Der Verein „Energiewende atomkraftfreies Schwaben e.V.“ kritisiert die Nicht-Information massiv. Einmal mehr seien gravierende Veränderungen, entgegen aller Zusagen bezüglich „gläserner Kernkraftwerke“, als „geheime Kommandosache“ behandelt worden. Während man in München mit einem Genehmigungszeitraum von eineinhalb Jahren rechnet, geht man laut Kraftwerkssprecher Lasch in Gundremmingen davon aus, dass bereits im März 2000 mit dem Einbau der neuen Kondensatoren begonnen werden kann. Umweltministerium und Kraftwerksleitung beteuern, so eine Leistungssteigerung sei ein Routinevorgang, sei bei Druckwasserreaktoren auch schon mehrmals erfolgt und auch in Siedewasserreaktoren völlig ungefährlich.
Das sieht der Atomexperte Christian Küppers vom Öko-Institut Darmstadt ganz anders. „Die radioaktiven Stoffe, die in der Anlage enthalten sind, nehmen zu, und zwar bezogen auf die kurzlebigen wie Jod 131.“ Sollte es dann nicht zu einem schnelleren Brennelemementewechsel kommen, dann würden auch die langlebigen entsprechend ansteigen. Das Risiko würde erheblich vergrößert, „und zwar durch den erforderlichen höheren Druck und den höheren Neutronenfluss“. Entsprechende Vorgänge in der Schweiz hätten das bewiesen. Küppers findet, Leistungserhöhungen, wie jetzt in Gundremmingen praktiziert, seien „gefährlicher als der Neubau von Kernkraftwerken“.
Aus atomrechtlicher Sicht ist der Verzicht auf ein Erörterungsverfahren bei einer Leistungssteigerung von unter zehn Prozent zulässig. Politisch sei das ganz anders, finden Küppers und auch der Vorstand der „Energiewende“, Raimund Kamm.
Wirtschaftlich ist eine solche Leistungssteigerung allemal, rechnet Christian Küppers vor. Bei 212 Megawatt mehr Leistung und einer geschätzten Betriebszeit von 8.000 Stunden pro Jahr würde der Strom-Mehrabsatz rund 1,7 Milliarden Kilowattstunden betragen. Rechnet man nur 7 Pfennig für die Kilowattstunde, ergebe sich immerhin ein Mehrertrag von 120 Millionen Mark. „Da würden sich die 40 Millionen an Investitionen schnell amortisieren“, schlussfolgert der Atomexperte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen