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Greenpeace fordert: Safer Welthandel

■ Mit Kondommännchen mischen Umweltschützer die Genfer WTO-Konferenz auf. „Risikopraktiken“ sollen unterbleiben

Genf (taz) – Wie groß ist die Angst der Welthandelsorganisation (WTO) vor ihren Kritikern? Offensichtlich erheblich – zumindest im Vorfeld der „Millenniumsrunde“ neuer Handelsliberalisierungen, die Ende des Monats in Seattle mit einer Ministerkonferenz der 134 WTO-Staaten eingeläutet werden soll. 30 schwerbewaffnete Polizisten schützten gestern Morgen das ohnehin fest verschlossene Sicherheitsgitter der Genfer WTO-Zentrale, hinter deren Mauern die Konferenz derzeit in geschlossener Sitzung vorbereitet wird.

Anlass des massiven Polizeiaufgebots waren vier als überlebensgroße Kondome verkleidete Greenpeace-Aktivisten, die völlig friedlich den neuen Report der Umweltorganisation „Sicherer Handel im 21. Jahrhundert“ verteilten. Darin kritisiert Greenpeace die bisherigen „Risikopraktiken“ der WTO und fordert die Berücksichtigung bestehender internationaler Umweltabkommen, und darüber hinaus die Einführung verbindlicher Kriterien für einen ökologisch sicheren und nachhaltigen Handel.

Seit ihrer Gründung im Jahre 1995 habe die WTO „versucht, internationale Abommen zum Schutz der Umwelt und der Artenvielfalt zu unterminieren“, heißt es in dem gemeinsam von Greenpeace und dem Washingtoner „Zentrum für internationale Umweltgesetzgebung“ verfassten Report. Das „Vorsorgeprinzip“, mögliche Gefährdungen der Umwelt auch bei noch nicht völlig gesicherter wissenschaftlicher Beweislage zu berücksichtigen, werde von der WTO „bewusst ignoriert“.

Als Beleg führt Greenpeace die umweltrelevanten Entscheidungen der WTO-Streitschlichtungsgremien aus den letzten vier Jahren an: Sowohl die Maßnahmen der USA zum Schutz von Meeresschildkröten vor bestimmten Praktiken asiatischer Staaten beim Garnelenfang wurden als Verstoß gegen die Handelsfreiheit verworfen wie auch die Einfuhrbeschränkungen der EU gegen hormonverseuchtes Rindfleisch aus den USA.

„Wir stellen das Recht von Staaten zum Handel mit Waren und Dienstleistungen zwar nicht in Frage“, erklärte Greenpeace-Aktivist Remi Parmentier gestern in Genf. Doch müsse dieser Handel „in Übereinstimmung mit dem Vorsorgeprinzip erfolgen“. Wo das Risiko schwerer oder „nicht mehr reparabler Umweltschäden“ bestehe, dürfe „der Mangel an letzter wissenschaftlicher Klarheit nicht länger als Vorwand dienen zum Verzicht auf oder für die Verschiebung von Umweltschutzmaßnahmen“.

Mit Blick auf die „Millenniumsrunde“ befürchtet Greenpeace vor allem, dass die WTO die „Internationationale Konvention zum Schutz der Artenvielfalt“ – 1992 auf der UNO-Umwelt- und Entwicklungskonferenz in Rio vereinbart – „einschränkt oder ganz zerstört“. Darum bemüht seien Konzerne, die die möglichst unkontrollierte internationale Verbreitung genetisch veränderter Nahrungsmittel und Pflanzen anstreben.

In diese Richtung zielen auch offzielle Vorschläge, die die WTO-Delegationen der USA, Kanadas und Japans inzwischen vorgelegt haben. Einen Verstoß gegen die 1989 in Basel vereinbarte „Internationale Konvention gegen den grenzüberschreitenden Verkehr mit gefährlichem Abfall“ sieht Greenpeace in der inzwischen eingerissenen Praxis bei der Verschrottung alter Schiffe. 70 Prozent der rund 700 Schiffe, die jährlich außer Dienst genommen werden, landen inzwischen in Indien, das aus dem Schiffsschrott 15 Prozent seiner Stahlproduktion gewinnt. Doch die teils hochgiftigen Bestandteile dieser Schiffe werden nicht umweltgerecht entsorgt.

Weiterhin warnt Greenpeace vor den Bemühungen der USA, den weltweiten Handel mit Holzprodukten trotz der umweltschädigenden Abholzpraktiken in zahlreichen Ländern des Südens noch weiter zu liberalisieren, sowie vor dem Versuch Washingtons, eine Direktive der EU-Kommission zur Reduzierung hochgiftiger elektronischer Abfälle durch eine Klage vor der WTO zu Fall zu bringen.

Andreas Zumach

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