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Pure Verzweiflung“

■ Das Geschäft mit Produkten für den Jahrtausendwechsel läuft nicht überall

Nürnberg (taz) – „Gönnen Sie sich zum Einzug in das dritte Jahrtausend etwas Besonderes und tragen Sie mit Esprit und Humor die Jahr-2000-Fliege“, lockt ein wortgewaltiger Versandhändler und bietet ein „originelles Accessoire“, das batteriebetrieben die Zahl 2000 am Hals blinken lässt. Süßwarenhersteller Kraft Jacobs Suchard verkauft für 29 Mark die 2-Kilo-Tafel „Milka 2000“, mit „Haribo 2000“ testet die Bärchenfabrik – allerdings nur in Österreich – die neue Geschmacksrichtung Brombeere.

Zwei Millionen Uhren „Watch 2000“ für 9,98 Mark hatte McDonald's schon unters Volk gebracht. Auch der Millenniums-Champagner von Dallmayr ist zum Flaschenpreis von 189 Mark bereits vergriffen. Hugo Boss nennt seine neue Frühjahrskollektion „Ready for the Millennium“, und Peter Palmers wird im Dezember einen Millenniums-BH vorstellen. Auf Spätbucher hoffen derweil noch die Tourismusanbieter. Für schlappe 66.900 Mark gibts noch immer Plätze für eine 16-tägige Weltreise mit doppeltem Silvester-Genuss – im Hafen der australischen Stadt Sydney und anschließend auf Hawaii. Für 1.999 Mark können stille Genießer nach Thailand jetten, um dort in einem buddhistischen Kloster unter Aufsicht eines Meditationsmeisters stumm auszuharren.

Eventuellen Ängsten ihrer Fluggäste wegen des „Y2K-Bug“ (Jahr-2000-Fehler) in den Computersystemen treten wagemutige Manager der Fluglinie British Airways entgegen – fast der gesamte Vorstand und Aufsichtsrat des Londoner Flugunternehmens wird während des Datumswechsels in der Luft sein.

Das ganz große Jahrtausendgeschäft zum Silvestertag ist bisher allerdings ausgeblieben. Besonders gefrustet sind schon jetzt die Werbeartikelhändler, die sich vom diesjährigen Jahresende einen wahren Boom versprochen hatten. In der Branche herrsche, so Verbandssprecher Michael Hagemann, „pure Verzweiflung“, mehr als sechs Milliarden Mark Umsatz werden die Werbeartikler auch 1999 nicht erreichen.

Selbst die Kalenderproduzenten hoffen vergebens auf eine Geschäftsbelebung durch den historischen Datumswechsel. Etwas Besonderes eingefallen ist ihnen allerdings nicht: „Nahezu jeder Hersteller fasst politische, kulturelle und sportliche Highlights des ausgehenden Jahrhunderts zusammen und vermarktet dieses Produkt dann als Millenniums-Kalender“, klagte das Branchenblatt werben & verkaufen. Gut im Rennen sind lediglich besondere Adventskalender, die statt 24 zum Jahreswechsel 32 Türchen aufweisen. Auch das Jahr 2000, so befürchten die Werbeartikelhersteller, hält für ihre Branche nichts Besonderes bereit – nur die dürftige Expo 2000. Aber mit der, so Maren Mehlis vom Präsent Service Institut in Düsseldorf, „können die meisten Firmen nichts anfangen“.

Horst Peter Wickel

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