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Ein Amt zwischen den Stühlen“

■  Marieluise Beck, Ausländerbeauftragte des Bundes, setzt auf Überzeugungsarbeit – und hat damit sogar zum Teil Erfolg. Das Kompetenzgerangel zwischen Bund, Ländern und Kommunen bleibt aber weiterhin ein Problem

taz: Das Ausländergesetz beschreibt Ihre Aufgaben mit weichen Formulierungen wie „Belangen ... zu einer angemessenen Berücksichtigung (zu) verhelfen“. Außerdem sollen Sie „beobachten“, „zusammenarbeiten“ und „Anregungen geben“. Wie setzen Sie sich durch?

Marieluise Beck: Natürlich ist dies ein Amt „zwischen den Stühlen“ mit begrenztem Einfluss. Meiner endet am Kabinettstisch. Aber gerade die Unabhängigkeit von einem Ressort macht einen übergreifenden Blick auf die integrationspolitischen Aufgaben möglich. Dies ist eine Kompetenz, in der auch eine Stärke liegt. Ich setze daher auf die Kraft des Argumentes, das mal still, mal laut vorgetragen werden muss – je nach Hörfähigkeit des Gegenübers.

Sie sind jetzt ein Jahr im Amt. Von Anfang an haben Sie propagiert, Deutschland „als Einwanderungsland“ zu begreifen. Wie real ist die Chance einer neuen Ära?

Neue Ära ist vielleicht übertrieben. Aber es geht um einen Paradigmenwechsel in der Integrationspolitik. Die alte Bundesregierung hat mit ihrer Weigerung, die Tatsache der Einwanderung anzuerkennen, Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben und integrationspolitisch Brachland hinterlassen. Die Tatsache anzuerkennen, dass Menschen sich als Einwanderer – nicht als Gäste – dauerhaft hier niederlassen, ist eine zentrale Voraussetzung für gelungene Integrationspolitik. Hier müssen wir ansetzen – mit Konsequenzen in vielen Bereichen.

Schon Ihre VorgängerInnen haben daran gearbeitet, jetzt ist es realisiert: ein neues Staatsangehörigkeitsrecht. Entspricht es Ihren Intentionen?

Das neue Staatsbürgerrecht ist zweifelsohne ein wichtiger Schritt zu rechtlicher Integration, der nicht unterschätzt werden sollte. Sicherlich mussten wir in der Frage der Mehrstaatigkeit Abstriche machen. Zentral sind und bleiben aber die Einführung des Geburtsrechtes und die beschlossenen Erleichterungen bei der Einbürgerung. Diese Reformen werden das Selbstverständnis unserer Gesellschaft verändern, dessen, was „typisch“ deutsch ist.

Wieweit ist die deutsche Staatsangehörigkeit mit Integration gleichzusetzen? Sind Migrantenkinder schon „integrierter“, wenn sie einen deutschen Pass haben?

Der Blick, das Interesse richtet sich dann auf diese Gesellschaft, in der man mitwirken und -gestalten kann. Das heißt ja nicht, die soziale und wirtschaftliche Integration zu vernachlässigen. Aber auch für Kinder ist es einfacher, als Deutsche unter Deutschen aufzuwachsen statt sich den Stempel des Ausländerseins aufdrücken zu lassen.

Wie viele Migranten können im kommenden Jahr einen deutschen Pass bekommen?

Über die Hälfte der 7, 3 Millionen AusländerInnen leben länger als acht Jahre in Deutschland und erfüllen damit diese Voraussetzung für einen Rechtsanspruch. Wer letztlich von diesem Recht Gebrauch macht, lässt sich nicht sagen. Wir informieren derzeit ja in einer bundesweiten Kampagne über die neuen Möglichkeiten. Wir wollen eine Einladung aussprechen, diesen Schritt zu gehen. Ich denke, die rechtliche Integration liegt auch im Interesse unserer Gesellschaft, um das weitere Auseinanderklaffen von Wohnbevölkerung und Wahlberechtigten zu vermeiden.

Was geschieht, wenn einige Länder und Kommunen das anders sehen? Wenn dort für zügige Bearbeitung von Ermessensanträgen zum Beispiel einfach das Personal „fehlt“?

Dem Bund ist an einheitlichen Verwaltungsvorschriften gelegen, die das Verfahren zügiger und schlanker gestalten. Bisher war eine Einigung mit den Ländern nicht möglich, da einige unionsgeführte Bundesländer die Umsetzung des Gesetzes obstruktiv durch neue Hürden erschweren wollen. Ich rechne daher nicht mehr mit allgemein verbindlichen Vorschriften in diesem Jahr. Am rechtlichen Anspruch wird sich dadurch aber nichts ändern.

Bayern will Regelanfragen beim Verfassungsschutz und Staatsbürgerkundeprüfungen einführen. Wie denken Sie: Kann und soll eigentlich jede/r, der die formalen und zeitlichen Voraussetzungen erfüllt, „deutsch“ werden können?

Das neue Staatsbürgerrecht hat die bisherigen Voraussetzungen für die Einbürgerung um das Bekenntnis zu unserer Grundordnung und um ausreichende Sprachkenntnisse erweitert. Ich halte es für richtig, dies zu verlangen. Falsch wäre es, daraus neue künstliche Verwaltungshürden zu stricken, wie es Bayern tut. Es geht ja gerade darum, Rechtsansprüche unter klaren Voraussetzungen zu formulieren und weniger Entscheidungen in das Ermessen von Behörden zu stellen.

Demnächst werden viele Migranten mit deutschem Pass aus der Ausländerstatistik verschwinden. Ein Argument für Sparpolitik? Weniger Ausländer – weniger Geld für Integrationsmaßnahmen?

Die Frage der Integration ist nicht allein eine des Passes, wie auch die Aussiedler zeigen. Integrationsmaßnahmen sind dort nötig, wo die Probleme liegen und müssen frühzeitiger ansetzen – bei allen Neuzuwanderern, im Kindergarten, in der Schule. Man sollte sich immer klar machen: Wer an Integrationsmitteln spart, muss an anderer Stelle Mittel bereitstellen, um die Folgeprobleme zu meistern. Zumindest auf Bundesebene ist es gelungen, die Mittel für Integrationsausgaben nicht zu kürzen, sondern – wenn auch nur leicht – zu erhöhen. Ich sehe allerdings mit Sorge, dass in einigen unionsgeführten Ländern der muttersprachliche Unterricht oder die unterrichtsbegleitende Sprachförderung zur Disposition gestellt wird.

Thema Neuzuwanderer: In den Niederlanden müssen alle einen Einstufungstest und nachfolgend einen Integrationskurs durchlaufen. Ist so ein Ansatz auch in Deutschland sinnvoll?

Wir sollten uns das niederländische Modell gut daraufhin anschauen, was davon übertragbar ist. Der Gedanke eines „Vertrages“ zwischen Neuzuwanderern und Aufnahmegesellschaft, in der Rechte und Pflichten formuliert werden, ist sicherlich überlegenswert: Die Gesellschaft stellt Sprach- und Integrationsförderung bereit, formuliert aber auch Verpflichtungen. Ich kann mir gut vorstellen, frühzeitig – schon im Visumsverfahren etwa – über Integrationsangebote, Rechte und Pflichten in diesem Land zu informieren und etwa die Teilnahme an solchen Kursen mit Anreizen wie einem umfassenden Zugang zum Arbeitsmarkt zu verbinden. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass es eine solche gezielte und frühzeitige Integrationspolitik in den letzten Jahrzehnten gerade nicht gegeben hat. Daher lassen sich an die Menschen, die vor Jahren angeworben wurden, nicht plötzlich die gleichen Vertragsbedingungen stellen.

Weitere Unterschiede gibt es ja in Bezug auf Arbeitnehmer, Flüchtlinge, Aussiedler, Asylsuchende. Sehen Sie da Ansätze für eine zusammenhängende „integrale“ Integrationspolitik?

Natürlich unterscheiden sich diese Gruppen in ihren Lebenslagen, vor allem aber in ihrem rechtlichen Status. Wir haben lange Zeit Integrationsmaßnahmen sehr an diesem rechtlichen Status ausgerichtet beziehungsweise sie deswegen auch versagt. Vor Ort sind die Probleme jedoch durchaus ähnlich – etwa die von neu zuwandernden Aussiedlern und ausländischen Flüchtlingen im Unterschied zu langansässigen ausländischen Familien. Eine neue Integrationspolitik sollte sich stärker an den gemeinsamen Problemlagen orientieren und die Maßnahmen vor Ort bündeln. Integrationsförderung in der Bundesrepublik ist allerdings auf sehr unterschiedliche Zuständigkeitsebenen von Bund, Ländern und Kommunen und zahlreiche Träger verteilt, was eine „integrale“ Politik nicht gerade erleichtert.

Welche konkreten Vorhaben nehmen Sie in dieser Hinsicht in Angriff?

Eine Ausländerbeauftragte kann allenfalls Vorhaben anregen und moderieren, was wir auch tun. Ich habe deswegen allen beteiligten Akteuren – Ländern, Kommunen, Verbänden – ein Dialogangebot gemacht. Integrationspolitische Aufgaben liegen in vielen Bereichen. Es ist kaum sinnvoll, wenn zum Beispiel die Sprachförderung vor Ort aus zig verschiedenen Töpfen für verschiedene Gruppen finanziert wird. Auch das Arbeitsgenehmigungsrecht ist reformbedürftig. Die völlig unübersichtlichen Regelungen, die selbst den Betriebsleiter eines mittelständischen Unternehmens überfordern dürften, verhindern oft den Zugang zum Arbeitsmarkt. Im Bereich der Aus- und Weiterbildung wollen wir gemeinsam mit Wirtschaft und Gewerkschaften in einem Aktionsplan berufliche Bildung versuchen, die dramatisch gesunkene Ausbildungsquote von Migranten zu erhöhen.

Flüchtlinge blieben bislang von Arbeit und Ausbildung ausgeschlossen, auch wenn sie absehbar noch lange Zeit nicht zurückkehren können ...

Es macht integrationspolitisch keinen Sinn, Flüchtlingen die Arbeitserlaubnis gänzlich zu versagen und sie in den Sozialhilfebezug zu zwingen. Wir haben uns hier für die Aufhebung des Arbeitsverbotes stark gemacht. Ich hoffe aber auch sehr, dass sich die Innenminister endlich auf eine wirkungsvolle Altfallregelung einigen können. Ich habe in dieser Sache in den vergangenen Wochen immer wieder das Gespräch gesucht. Auf Bundesebene sind wir uns dort einig, es hakt an den Ländern.

Flüchtlinge aus dem Kosovo sollen laut Innenminister möglichst bald zurückkehren. Wie stehen Sie dazu?

Ich halte eine zwangsweise Rückführung in den Winter hinein für fatal, will man weitere Notlagen vermeiden. Diese Haltung vertraten auch die Hilfsorganisationen vor Ort bei meiner letzten Reise. Die Innenminister haben sich davon nicht beeindrucken lassen, wenn auch Abschiebungen nur in Einzelfällen vorgenommen werden sollen.

Deutschland nimmt EU-weit die meisten Flüchtlinge auf, und Teile der Bevölkerung nehmen das als Bedrohung wahr. Ihre Formulierung „Deutschland – Einwanderungsland“ mag da viele zusätzlich erschrecken. Gilt sie auch im Fall der Flüchtlinge?

Die Diskussion um Zu- und Einwanderung wird hierzulande oft sehr aufgeregt und wenig sachlich geführt. Schnell ist die Rede von Überschwemmung, von Migrations- und Fluchtwellen und vollen Booten. Ich halte diese Seemanns-Metaphorik für wenig angebracht und hoffe, dass es gelingt, diese Debatte ein wenig nüchterner zu führen. Ein erster Schritt dazu ist es, die Fakten zu benennen. Richtig ist, dass in den letzten acht Jahren von 1991 bis 1998 8,8 Millionen Menschen – vorübergehend oder dauerhaft – nach Deutschland zugezogen sind, davon 80 Prozent Ausländer. Richtig ist aber auch, dass im selben Zeitraum 5,8 Millionen Menschen das Land verließen, ebenfalls überwiegend ausländische Staatsangehörige. Gerade in den letzten beiden Jahren hat sich der Wanderungssaldo bei den Ausländern aber umgekehrt. 1997 und 1998 zogen mehr Ausländer aus Deutschland weg als zu. So standen im letzten Jahr 606.000 Zuzügen von Ausländern 639.000 Wegzüge gegenüber, ein Minussaldo von 33.000 Menschen. Der Ausländeranteil ist 1998 um 0,6 Prozent gesunken. Diese Zahlen belegen doch zweierlei: Wir haben es mit einer relevanten Einwanderung zu tun. Wir haben es aber auch mit einer hohen Mobilität von Ausländern und Deutschen zu tun, die auch nationale Grenzen überschreitet. Hierauf muss sich die Politik einstellen.

Für verschiedene Gruppen von Migranten gibt es unterschiedliche Zuständigkeiten und Fördertöpfe: beim Arbeits-, Innen- und Frauenministerium, bei den Ländern. Sind da nicht sowohl Doppelförderungen als auch blinde Flecken vorprogrammiert?

In der Tat ist diese Aufsplitterung in verschiedene Töpfe und Programme wenig sinnvoll. Wir haben auf Bundesebene in einem ersten Schritt eine Bestandsaufnahme vorgenommen. Hier halte ich eine stärkere Abstimmung und Kooperation für sinnvoll. Integrationsförderung aus einem Guss wird es aber nicht geben, aufgrund unseres föderalen Systems, in dem viele Aufgaben der Integrationsförderung auf der Landesebene angesiedelt sind.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Marie-Luise Gries

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