Unter Ausgeschlossenen und Ungefragten

Bei einer Diskussion in der Gethsemanekirche ziehen Ex-DDR-Bürgerrechtler unfrohe Bilanz: Die Forderungen von 89 seien auf der Strecke geblieben, und Gauck als Festredner bedeute einen Affront  ■   Von Heike Haarhoff

Berlin (taz) – Natürlich hat es sie gewurmt. Oder zumindest beschäftigt, dass ihre Namen nicht einmal erwähnt wurden, als es darum ging, die unglückliche Rednerliste im Bundestag zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls um den einen oder anderen prominenten ehemaligen DDR-Bürgerrechtler zu erweitern: Judith Demba, 1989 Mitgründerin der DDR-Grünen. Sebastian Pflugbeil, 1989 Neues Forum, später Energieminister unter der Interimsregierung Hans Modrow. Christina Schenk, 1989 Mitgründerin des Unabhängigen Frauenverbands. Reinhard Schult, 1989 Neues Forum. Bernd Gehrke, 1989 bei der Vereinigten Linken, heute beschäftigt beim Berliner Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung. Und als solcher Initiator einer Podiumsdiskussion unter Ausgeschlossenen und Ungefragten, die dabei so viel zu sagen hatten zum „kurzen Herbst der Freiheit“, Samstagnachmittag in der Berliner Gethsemanekirche.

„Die Herrschenden haben immer schon ihre Feste gehabt“, sagt Gehrke, aber so richtig überzeugend klingt das nicht, dass ihm die Planungen zu den offiziellen 9.-November-Feierlichkeiten egal wären. Denn die Bilanz der fünf Bürgerrechtler über die gesellschaftliche und politische Entwicklung in Deutschland ist das Gegenteil der frohen Botschaften, die morgen, am Jahrestag, vermutlich weltweit über die Bildschirme flimmern werden: „Viele unserer Hoffnungen sind dahin“, sagt Gehrke, vor allem die auf einen eigenständigen Staat, in dem „freiheitlich-demokratischer Sozialismus“ herrschen würde. Stattdessen der „Anschluss“ an die Bundesrepublik. Stattdessen die Maueröffnung, „die wir im nachhinein als Fehler einschätzen, weil damit die ganze Emanzipationsbewegung der DDR von einem auf den anderen Tag zerstoben war“, wie es Sebastian Pflugbeil sieht. „Die Menschen waren halt anfällig für den materiellen Wohlstand“, sagt er. „Früher haben wir die politische Existenz riskiert, heute den Verlust bürgerlicher Wirtschaftsrechte.“ Es klingt wie ein Fluch.

Zumal die meisten Forderungen von damals auf der Strecke blieben. Die Abschaffung aller Geheimdienste. Die Abschaltung aller Atomkraftwerke. Wahlrecht für alle Menschen, die in Deutschland leben. Ausgenommen rechtsradikale Parteien. „Wir wollten dieses braune Volk nicht, aber das hat uns diese Demokratisierung irgendwie eingebracht“, behauptet Reinhard Schult mit einem Blick, als habe der Westen die Neonazis in Bussen gen Osten gekarrt.

Eine Politik des „Antimilitarismus“ habe man gewollt, die „keine Angriffskriege im Kosovo“ führt. Asylrecht ohne Drittstaatenregelung. Pressefreiheit. – Pressefreiheit? „Ja“, sagt Pflugbeil, „man wird doch heute mit der Freiheit nur so zugebombt. Ich kann eine ganze Enzyklopädie kritischer Anmerkungen drucken, aber keiner nimmt es ernst.“ Die gesellschaftliche „Verachtung, die Gleichgültigkeit“ gegenüber politisch Andersdenkenden empfindet er heute „fast schlimmer als in der DDR“.

Und jetzt hat er noch nicht einmal Rederecht vor einer großen Öffentlichkeit. Dass ausgerechnet Joachim Gauck, der ehemalige Pastor und engagierte Bürgerrechtler und heute erfolgreiche Behördenleiter in Sachen Stasi-Aufklärung, als Ost-Vertreter vor dem Bundestag sprechen darf, bringt die fünf aus der Gethsemanekirche schlicht zum Rasen. Wie kann Gauck in Interviews behaupten, die meisten Forderungen der Bürgerrechtsbewegung seien sehr wohl erreicht? So wie Gauck, klagen sie, reden eben nur Leute, die es zu Pöstchen und Erfolg gebracht haben. „Dass Gauck reden soll, empfinde ich als Affront“, sagt Christina Schenk. „1989 habe ich ihn nirgendwo gesehen.“ Und dennoch sind die fünf über die Bestellung Gaucks nicht wirklich verwundert: „Es ist kein Ausnahmefall, dass die aktiven Leute einer Revolution anschließend nicht mehr gebraucht werden.“