: „Naturschutz keine Ermessensfrage“
■ EU-Kommission weist Deutschland wegen eigenmächtigen Umgangs mit Naturschutz in die Schranken / CDU-Vorstellungen erscheinen vor dem Hintergrund der Brüsseler Klage lachhaft
In Bremen gehen die Uhren anders als in Brüssel. Während Bremer CDU-Politiker nämlich erneut bekräftigten, EU-Recht zum Schutz bedrohter Tier- und Pflanzenarten (Flora-Fauna-Habitat Schutz/FFH) nach Gutdünken anwenden zu wollen, bzw. lieber Gewerbeneubauten oder Straßen ins Hollerland zu bauen, werden die Töne im Konflikt um die versäumte Meldung deutscher Schutzgebiete auf Europaebene schärfer. Das geht aus einem bislang unveröffentlichten Schreiben der EU-Kommission an die Bundesregierung hervor, das der taz vorliegt. Dabei handelt es sich um die Erwiderung der EU-Kommission auf Ausführungen Deutschlands zum Versäumnis, FFH-Schutzgebiete entsprechend den Gesetzesvorschriften der EU zu melden.
Anlass ist eine Klage, die die Kommission im Mai wegen „Vertragsverletzung“ gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof einreichte. Die Kommission geht davon aus, dass die Meldefrist der Schutzgebiete bereits Mitte '95 abgelaufen ist. Die Klage richtet sich indirekt auch gegen Bremer Verschleppungstaktiken gegen den Aufbau eines EU-Naturschutz-„Netzes Natura 2000“. Darin sollen alle wichtigen Schutzgebiete erfasst werden – mit dem „vorrangigen Ziel, die biologische Vielfalt von Pflanzen und Tieren und ihre Lebensräume in der Europäischen Union zu erhalten“. Ganz deutlich stellt die Kommission zu den Verzögerungstaktiken in Deutschland fest: „Es steht einem Mitgliedstaat nicht zu, ein Gebiet, das den objektiven Kritierien der Richtlinie entspricht, deshalb nicht vorzuschlagen, weil er der Meinung ist, es müsse im Netz Natura 2000 nicht enthalten sein.“ Diese trifft fürs Hollerland zu.
Die Bremer CDU-Fraktion dagegen hat zuletzt im Rahmen einer Klausur am Wochenende beschlossen, die Vorlage von Umweltsenatorin Tine Wischer (SPD) abzulehnen (die taz berichtete). Wischer hatte bekannt gemacht, bis Ende November neun Schutzgebiete gemäß FFH-Richtlinie offiziell zu melden – darunter das unter deutschem Natur- und europäischem Vogelschutz stehende Hollerland. Dies sei vorgeschrieben; als gewichtiges Argument gilt auch, dass bei weiterem Versäumnis hohe Strafzahlungen drohen. Es sei klug, EU-Recht nicht nur ernst zu nehmen, wenn es in den Kram passt, heißt es im Umweltressort – zumal die EU angedroht habe, dass das vorschriftswidrige Nicht-Melden der Gebiete negative Auswirkungen auf die Vergabe von Wirtschaftsfördermitteln haben könne.
CDU-Wirtschaftssenator Josef Hattig jedoch will eine erneute „Überprüfung der vorgesehenen FFH-Gebiete“ – und das Hollerland für Gewerbeansiedlung. Und die CDU Fraktion posiert wie der europäische Gesetzgeber himself: „Für die CDU steht die Vergleichbarkeit mit den Meldungen anderer Bundesländer und EU-Staaten im Vordergrund. Kartierungen und Erfassungskriterien müssen konform sein.“ Man werde der Meldung nach FFH nicht zustimmen. Gleiches fordert, ähnlich ungetrübt von Sachkenntnis, die Junge Union.
Die Bremer Grünen dagegen planen, in der kommenden Bürgerschaftssitzung den Antrag zu stellen, die FFH-Flächen bis Jahresende ordnungsgemäß anzumelden. „Das ist keine Ermessensfrage, sondern der Vollzug eines europaweit einheitlichen Verfahrens.“ Das CDU-Argument, sich nicht unter Zeitdruck setzen zu lassen, zähle nach all den Jahren nicht mehr.
ede
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