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Hinter den Spiegeln

Eigentlich wollte sie Punkrock machen, dann wurde sie für verrückt erklärt. Heute schreibt Claudia Bridge traurige Liebeslieder und singt in Kirchen. Ein Porträt  ■   von Petra Welzel

Mit 22 Jahren ging Claudia Bridge von Aachen nach Berlin. Sie wollte ein Popstar werden.

Bei Claudia Bridge zu Hause ist alles picobello. Die halbhohen Vorhänge vor den Fenstern ihres Zimmers und an den Seiten des Hochbettes strahlen naturweiß, auf dem dicken Teppichboden ist kein Fussel zu sehen, und die Besucher müssen sich die Schuhe ausziehen. Wie die Wohnung, so die junge Frau, die in ihr lebt: Die schwarze Hose und die rote Bluse sitzen wie angegossen an dem schlanken, muskulösen Körper, das halblange, hennagefärbte dunkle Haar ist sorgfältig mit einem weinroten Seidengummiband zusammengebunden, in beiden Ohren steckt ein silberner Ring, und das leicht gebräunte Dekolletee schmückt ein kleiner gläserner Anhänger.

Diese Frau macht Musik, seit sie denken kann. Mit 14 Jahren hat Claudia Bridge ihre ersten Lieder komponiert, fünf Jahre lang hat sie klassischen Gitarrenuntericht genommen. Obwohl: „Ich wollte nie Gitarre lernen, sondern immer Klavier.“ Aber die Eltern hätten die musikalischen Neigungen nicht wirklich ernst genommen und „nur minimal“ gefördert. „Das passte nicht in ihr Weltgefüge“, sagt die Tochter. Claudia Bridge wollte ein Popstar werden. Also ging sie mit 22 Jahren von Aachen nach Berlin, „um Frauenstudien zu betreiben und E-Gitarre zu spielen“. Die E-Gitarre hängt heute unter dem Hochbett, über der Kiefernkommode.

Man vermag sich hinter der freundlichen jungen Frau, die da auf dem Sofa sitzt und Yogitee mit Milch und Honig trinkt, nur schwer die leidenschaftliche Musikerin vorstellen. Schon gar nicht, dass sie Nirvana und Metallica mag. „Ich wollte immer mal in einer Punkband spielen“, sagt sie dann auch noch. In Berlin landet sie aber zunächst in einem „Lärm und Lust“-Workshop, gründet die erste Band, dann eine zweite, die „Cheerleaders“, ein Frauentrio, mit dem es dann auch beinahe zu einer ersten Platte reicht. „Ich war immer ein bisschen die Strategin im Hintergrund, ich wusste, was ich wollte. Die anderen aber nicht, und daran ist es dann gescheitert.“ Aber: „Wir waren eine ziemlich heftige Rockband.“ Aus den großen Boxen rocken leise die Cheerleaders von einem alten Demoband.

Claudia Bridge brach zusammen, als sie vor sieben Jahren ihr Soziologiestudium beendete, die Cheerleaders sich trennten und ihre Freundin sie verließ. Das führte nicht nur zu einem dreimonatigen Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie – sie war offensichtlich nicht mehr ansprechbar und „ein bisschen unordentlich“ –, sondern auch zu einer völligen musikalischen Kehrtwendung.

Wenn Claudia Bridge heute darüber spricht, prägen sich die feinen Kummerfalten um Nase und Mund zu großen Lachfalten aus. Wenn sie sich daran erinnert, dass sie bei ihrer Zwangseinweisung durch ihre ehemalige Freundin von drei Pflegern überwältigt und „mit Valium niedergespritzt“ wurde. Und wie sie den Psychologen erklärte: „Ich bin durch den Spiegel gezogen worden, ich werde hellsichtig“, und die sie nicht verstanden und eine Psychose bei ihr diagnostizierten. „Zwei Wochen nach meinem Studium bin ich für verrückt erklärt worden, das muss man sich mal vorstellen!“ Sie lacht darüber, auch aus Verzweiflung. Dann legt sie ihre Finger nachdenklich an die Stirn.

Die meisten Menschen würden Claudia Bridge vermutlich auch heute noch für verrückt halten, wenn sie ihnen erzählen würde, dass sie sechs Jahre von dem toten Vater einer Musikerkollegin, einem Kirchenmusiker, besessen war. Dass sie seither eine innere Anleitung habe, die ihr sagt, wie und was sie singen soll. Wenn sie sagt: „Das Ich in meinen Texten ist ein lyrisches Ich. Ich fühle mich nur wie ein Medium, das diese Texte und Lieder zu einem bestimmten Zeitpunkt veröffentlicht.“ Oder behauptet, sie hätte hellseherische Fähigkeiten: „Das fing mit neunzehn an, da dachte ich in jedem großen Raum Weihrauch zu riechen.“ Da fragt man sich schon, ob die Schaltzentrale im Kopf beim Gegenüber richtig tickt oder man selbst einfach nur absolut phantasielos und uninspiriert ist.

Andererseits hat man ja zuerst Claudia Bridges neue CD gehört und gedacht: Die ist ja richtig schön. Lauter Liebeslieder. Zugegeben, traurige Lieder, aber gesungen mit einer wenn auch melancholischen, so doch kräftigen und klaren Stimme, die Hoffnung macht. Vor allem deutsche Texte, die Tiefgang haben, sich auch nach mehrfachem Hören noch nicht abgehört haben. Da interessiert es schon, wie eine Mittdreißigerin heute auf die Idee kommt, solche Lieder zu schreiben – in einer Zeit, die bestimmt ist von Techno, House oder Drum 'n' Bass und in der Berliner Musikerinnen sich eher an Bands wie den Lemonbabies oder Britta orientieren.

„Das ist eine wirklich interessante Frage“, sagt Claudia Bridge, aber was soll sie darauf schon antworten: Sie kann ja nicht anders, sie muss diese Songs schreiben. 140 waren es in den vergangenen Jahren, 14 sind jetzt auf ihrer Eigenproduktion „Als ich durch den Spiegel ging . . .“ erschienen. Das ist doch viel verrückter. Was das kostet! Aber Claudia Bridge ist genauso pragmatisch, wie sie für viele durchgeknallt sein mag.

Drei Wochen nach der von ihr selbst gewollten Entlassung aus der Psychiatrie mit der Drohung, ohne Psychopharmaka werde sie niemals leben können, bekam sie eine Stelle als Arbeitsvermittlerin und -beraterin. Und nebenbei gibt sie heute Unterricht in einer Musikschule. Tabletten hat Claudia Bridge nie wieder genommen. Bescheiden lebt sie in ihrer kleinen Einraumwohnung und investiert den finanziellen Überschuss in die eigene Vermarktung. Manchmal tritt sie für Geld auf, vor allem in Kirchen, manchmal schnappt sie sich einfach die Konzertgitarre von der Wand und zieht durch die Cafés der Stadt.

Claudia Bridge ist froh, dass sie von ihrer Musik nicht leben muss. Im Booklet ihrer CD aber schreibt sie: „Biografisches: Wie ich wurde, was ich bin . . . 1992 wollte ich mich als Musikerin professionalisieren, meine Band löste sich jedoch aufgrund interner Differenzen auf. Ich musste eine künstlerische Zwangspause einlegen. In dieser Zeit beschritt ich anlagebedingt einen bewusstseinserweiternden Weg.“ Dass ihr erstes Soloprogramm schließlich „Ich bin anders als die anderen“ hieß und sie ihr Label „heavensdoor records“ (Himmelstür) nennt, ist da irgendwie nur konsequent. Und anlagebedingt.

Die CD ist zu beziehen über: heavensdoor records, Postfach 360210, 10972 Berlin, oder per Fax: (0 40) 3 89 85 47

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