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Kampf nicht nur um Hühnerbeine

Ende November startet die nächste Verhandlungsrunde zum Welthandel. Russland und der Westen feilschen seit Jahren über einen WTO-Beitritt  ■   Aus Moskau Barbara Kerneck

Im Westen gibt es Interessengruppen, deren Vertreter die WTO-Mitgliedschaft Russlands eher hinauszögern möchten

Ganz Russland erinnert sich an die Schlacht um die „Bush-Beinchen“. So nannte man hier jene gummiartigen, total geschmacklosen, dafür aber unvergleichlich preiswerten US-amerikanischen Hühnerschenkel, die seit den 90er-Jahren den letzten Trost der russischen RentnerInnen bildeten. Erbitterte Streitigkeiten mit den USA riefen die wiederholten Versuche russischer Regierungen hervor, gegen die unliebsame Konkurrenz der US-Beinchen – benannt nach dem Präsidenten George Bush – einen Wall aus Schutzzöllen um die einheimischen Geflügelfarmen zu errichten.

Der Zoff ging sogar noch weiter, nachdem Boris Jelzin und Bill Clinton auf dem Helsinki-Gipfel im März 1997 feierlich gelobt hatten, Russland werde in anderthalb Jahren – also Ende 1998 – der Welthandelsorganisation WTO beitreten. Man munkelte damals, dies bilde ein Entgegenkommen der USA für Russlands stillschweigende Zustimmung zur Nato-Osterweiterung.

Offensichtlich glaubten damals sowohl Russland als auch der Westen, ein Abbau der Handelsschranken brächte beiden Teilen ungeahnte Vorteile. Je besser sich die beiden Verhandlungsparteien aber kennenlernten, desto mehr trat Ernüchterung ein. Noch immer ist die Russische Föderation der WTO nicht beigetreten. Als nächsten Termin fassen beide Teile nun erst das Jahr 2005 ins Auge.

Die russischen Schutzzölle gegen Konsumgüter aus dem Ausland, die so lange ein Haupthemmnis bei den Verhandlungen gebildet hatten, spielten nach der August-Krise 1998 plötzlich nur noch eine untergeordnete Rolle. Der dramatische Fall des Rubelsmachte viele von ihnen überflüssig, weil Westwaren für den russischen Verbraucher ohnehin unerschwinglich wurden. Fortschritte haben die Verhandlungen über den Abbau dieser Zölle bereits für 40 Prozent aller nach Russland eingeführten Waren ergeben.

Hartes Ringen ist bloß noch um die zollfreie Einfuhr von wenigen Gütern, wie etwa Pkw oder Benzin mit hoher Oktanzahl, zu erwarten. Deren Konkurrenz mit den entsprechenden russischen Produkten tangiert in den Augen russischer Politiker die nationale Ehre und Sicherheit. Erst ein neu gewählter Präsident und ein neuer Premier könnten hier nach dem Jahre 2000 grünes Licht geben.

Auch die Gespräche über die Bedingungen für Dienstleistungen bewegten sich in diesem Jahr vom Fleck. Noch 1998 sperrten sich die russischen Oligarchen verbiestert gegen die Möglichkeit für russische BürgerInnen, die Dienste westlicher Banken und Versicherungesellschaften mit Filialen im Lande nutzbar zu machen. Mit der krisenbedingten Schwächung des russischen Bankwesens ist auch dessen Lobby abgeschlafft.

Trotz dieser vielen positiven Ergebnisse herrscht keineswegs Friede, Freude, Eierkuchen in den Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der WTO. Einstige Seitenaspekte der Beitrittsfrage sind inzwischen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und blokkieren dort den Annäherungsprozess. Wenn es zum Beispiel um Autorenrechte und Urheberschutz geht, so ist Russland noch weit von der notwendigen Rechtsbasis und auch von den rein technischen Möglichkeiten entfernt, um den WTO-Normen gerecht zu werden.

Behindert durch die Politik der WTO wird andererseits der von Russland angestrebte Schrankenabbau zwischen jenen fünf Ländern, die sich zu einer Zollunion innerhalb der GUS zusammengeschlossen haben: Außer Russland selbst gehören dazu Weißrussland, Kasachstan, Tadschikistan und Kirgisien. Letzteres ist der WTO bereits als Vollmitglied beigetreten und erweist sich wegen der damit verbundenen völligen Liberalisierung seines Außenhandels als mit den anderen GUS-Ländern nicht mehr recht kompatibel.

Auch in den EU-Staaten und in den USA gibt es mächtige Interessengruppen, deren Vertreter die WTO-Mitgliedschaft Russlands offenbar eher hinauszögern möchten. Hier schlägt sich eine als Anti-Dumping- und Sicherheitsmaßnahmen maskierte Abwehr gegen russische Produkte in den Einfuhrbedingungen nieder, vor allem gegen Rohstoffe wie Zink, Magnesium, Kalium, aber zum Beispiel auch gegen Fischkonserven und Jagdgewehre.

Am schärfsten tobt der Kampf um den Stahl. Am 13. Juli dieses Jahres zwangen die Amerikaner die russische Seite zu einem Abkommen, in dem sie ihre Stahllieferungen in die USA angeblich „freiwillig einschränkt“ , das heißt auf ein Fünftel des bisherigen Umfangs kürzt. Russland darf demnach bis zum Jahre 2003 insgesamt nur vier Millionen Tonnen Stahl in die USA liefern, während es noch allein im letzten Jahr über fünf Millionen Tonnen dorthin exportierte. Die russische Wirtschaft verliert nach Einschätzung unabhängiger Experten durch den Kontrakt sechs Milliarden US-Dollar. Wäre Russland bereits Mitglied der WTO, hätte es sich im gegebenen Streit an ein Schiedsgericht dieser Organistion wenden und in einem jahrelangen Prozess einen Aufschub heraushandeln können.

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