: Angst vor dem zweiten Abstieg
Nach zwei Monaten Amtszeit bei Borussia Mönchengladbach wird Trainer Hans Meyer langsam klar, auf welch schwieriges Abenteuer er sich eingelassen hat ■ Von Holger Jenrich
Berlin (taz) – Jahre, was sage ich: Jahrzehnte hat man in Mönchengladbach einer Konstellation wie dieser entgegengefiebert. Und ausgerechnet im Vorfeld des 100. Geburtstages wird der Traum Wirklichkeit: Die Borussia spielt endlich wieder um den Titel mit. Die Jungs mit der Raute auf der Brust machen hinten dicht wie weiland Luggi Müller und Klaus-Dieter Sieloff – und treffen vorne wie ehedem Jupp Heynckes und Herbert Laumen. Die Meisterschaft ist im Bereich des Möglichen – und die Euphorie rund um den Bökelberg entsprechend groß.
Es ist indes nur die Oberliga-Mannschaft von Borussia Mönchengladbach, die in derart erfreulicher Weise von sich reden macht. Derweil Amateurstrategen wie Truckenbrodt, Geerkens oder Bediako mit Recht vom Aufstieg in die Regionalliga träumen, müssen sich ihre Profikollegen vor dem Abstieg in dieselbe in Acht nehmen. Nach dem 2:2-Unentschieden am Montagabend bei Tennis Borussia Berlin stehen Frontzeck, Witeczek, Kamps und Co. auch in der Zweiten Liga wieder mit dem Rücken zur Wand. Tabellenplatz 14 nach einem Drittel der Saison und als nächster Gegner der Tabellenzweite aus Cottbus – schon macht die Angst vor dem zweiten Abstieg binnen eines Jahres die Runde.
„Das ist teilweise konzentrierte Hilflosigkeit“, zeigt sich Trainer Hans Meyer erschreckt über das Niveau seines Teams. Der Sachse, in den zehn wiedervereinigten Jahren erst der dritte Gladbacher Ostimport nach den Keepern Heyne und Enke, ist um seinen Job wahrlich nicht zu beneiden. Technisch bieder, taktisch bescheiden, kämpferisch allenfalls bemüht – einen schlechteren Kader als den derzeitigen hatte Borussia Mönchengladbach seit der desaströsen Oberliga-Saison 1956/57 (letzter Platz mit 10:50 Punkten) nicht mehr zur Verfügung. „Da sind“, nimmt Meyer kein Blatt vor den Mund, „zu viele Spieler ohne fußballerische Klasse.“ Und fügt nach gerade mal zwei Monaten Amtszeit desillusioniert hinzu: „Der Neuaufbau dauert länger, als viele bis jetzt angenommen haben.“
Die Tatsache, dass er für den Status quo nicht verantwortlich zu machen ist, tröstet den bärbeißigen Meyer nur wenig. Zwar wird er in stillen Stunden voll gerechten Zorns über qualvolle Strafen nachdenken, die sich Ex-Trainer Rainer Bonhof und Ex-Manager Rolf Rüssmann für die hanebüchene Personalpolitik der jüngsten Vergangenheit redlich verdient hätten. Doch viel intensiver macht sich der erfolgreichste Fußball-Übungsleiter der verblichenen DDR Gedanken darüber, wie die drohende Drittklassigkeit abzuwenden ist. Bis zur Winterpause will er mit dem teils nur bedingt tauglichen, teils nur bedingt motivierten Personal Anschluss an die rettenden Mittelfeldplätze halten. Und dann mit gefüllter Brieftasche vor allem durch die Niederlande reisen, um dort junge Talente an den Bökelberg locken, die es während seiner erfolgreichen Zeit bei Twente Enschede bis in sein Notizbuch oder zumindest in die Statistikabteilung seines Kleinhirns geschafft haben.
Nachdem der Club im vergangenen Jahr kurz vor dem Offenbarungseid stand und einen geschätzten Schuldenberg von 17 Millionen Mark mit sich herumschleppte, ist bei Borussia zumindest pekuniär wieder alles im Lot. Nach dem Rauswurf von Ex-Manager Rüssmann ist man im Verein wieder zu soliderem und seriöserem Geschäftsgebaren zurückgekehrt, Notverkäufe von Andersson oder Pettersson, Pflipsen oder Deisler haben beträchtliche Summen in die leeren Kassen geschwemmt. Zudem ist vor wenigen Wochen auch noch Michael „Kinowelt“ Kölmel wie ein Deus ex Machina erschienen. 15 Millionen Mark hat der Sammler Not leidender Traditionsclubs für Neuverpflichtungen zur Verfügung gestellt.
Seit des Sponsors ach so großzügige Geste publik wurde, werden dem Club vom Niederrhein nun täglich Brasilianer und Japaner, Tschetschenen oder Kongolesen sonder Zahl und natürlich sämtlich herausragender Qualität offeriert. Für Hans Meyer beginnen mit der Sichtung der Bewerbungsunterlagen und der Auswahl kickfähiger Kandidaten die Wochen der Wahrheit – die Fußballer, die fortan zur Borussia stoßen, hat allein er zu verantworten. Der Druck, der auf ihm lastet, ist nicht zu unterschätzen. Schließlich geht es nicht nur darum, einem Lieblingsverein unzähliger Fußballfans das endgültige Verschwinden in der Versenkung zu ersparen. Es geht im Jubiläumsjahr vielmehr um die Existenz des gesamten Clubs. Der beschlossene Neubau des hochmodernen „Nordpark“-Stadions, die Berücksichtigung eben dieser Vorbild-Arena bei der möglichen Weltmeisterschaft im Jahr 2006 – für den Verein überlebenswichtige Projekte wie diese werden möglicherweise obsolet, wenn sich die Mannschaft ab Sommer mit LR Ahlen, der SpVgg Elversberg oder SC Paderborn in der Regionalliga duellieren sollte.
Angesichts derartiger Perspektiven ist das gute Abschneiden des Oberliga-Teams ein schwacher Trost. Aber vielleicht sollte Hans Meyer bei allen Gedanken an die Zukunft auch einmal einen Blick in die Vergangenheit riskieren. Ein gewisser Hennes Weisweiler sortierte 1964 unmittelbar nach Amtsantritt etliche alte Kämpen aus und setzte statt ihrer auf junge Amateure, die da Netzer, Heynckes, Laumen oder Rupp hießen. Und was daraus wurde ... ach, das ist eine andere Geschichte ...
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