Hereinspaziert ins Erdbeerparadies

■ Die Vorschau: In seiner neuen Konzertreihe „Hörzu“ will Barfly im Jungen Theater nicht nur Wohnzimmerpop präsentieren. Junge Leute aus Popland drehen Texte über Liebe durch den Wolf

Als das Kind Kind war, besuchte es oft seine Großmutter. Dort fand es stets einen Klassiker deutscher Fernsehgemütlichkeit. Seit die Großmutter starb, hat es die „Hörzu“ nie wieder in die Hand genommen. Und sah die Typo erst auf einem Plakat wieder. Im Herbst 1999. Das Kind war erwachsen geworden.

Hör Zu! Der Imperativ hat mit Fernsehen nur insofern zu tun, als das dreiteilige Minifestival sich spaßhaft affirmativ auf das Etikett bezieht, das derzeit bei jeder Gelegenheit dem Berliner Pop-Underground angeheftet wird: Musik aus dem Wohnzimmer. So lautet der Untertitel dieses spannenden Versuchs, aus dem vielleicht mal eine richtige Reihe werden kann. Mit Reihen kennt sich der junge Herr aus, den wir der Einfachheit halber so nennen wollen, wie er sich selbst nennt, nämlich Barfly. Der veranstaltet seit Jahren im Jungen Theater die „Blue Moon Bar“. Und das nicht ganz erfolglos.

Und nun: „Hörzu“. Ein Testballon, drei Konzerte lang. Barfly ist wahrlich kein Schubladentechniker. Trotzdem habe er den Eindruck, dass Popmusik im Rahmen der Jazz-based „Blue Moon Bar“ nicht funktioniert. Darum ein Wochenende etwas anderer Musik. Man ist geneigt, das Konzept irgendwie als postmodern zu bezeichnen. Denn schon die ersten drei Konzerte stellen musikalisch sehr unterschiedliche Projekte auf die Bühne. Aber von Poptheorie will der Veranstalter nichts hören. Es gehe darum, das Ambiente einer Bar, die ausgelassene Atmosphäre einer Party und die beiläufige Ernsthaftigkeit der Texte zu verbinden.

Im Bühnenraum des Jungen Theaters wird an der Dekoration gebastelt. Alte Sofas stehen herum, die Wände sind mit schwarzen und grauen Vorhängen bedeckt, und irgendwer will noch alte Tapeten besorgen. Wenn's fertig ist, wird das alles die brüchige Gemütlichkeit eines 60er Jahre-Wohnzimmers andeuten. Man könnte das Motto-Party nennen. Muss man aber nicht. Denn dies Wohnzimmer ist weniger ein Refugium in Zeiten vom „Draußen ist feindlich“ als der Rahmen für lauschiges Lauschen. „Es geht darum, innerhalb einer Party Inhalte rüberzubringen“, sagt Barfly. Die Konzerte sollen musikalisch diesseits vom dummen Pseudoglamour des Schlagers in die eine, von der Stadionlangeweile von Grönemeyer & Co. in die andere Richtung funktionieren.

Barfly hat ein Programm zusammengestellt, das man – würde es nicht so blöd klingen – als bunt beschreiben könnte. Den Anfang macht Annette Berr aus Berlin. Gemeinsam mit ihrem klavierspielenden Begleiter Rainer Kirchmann entstehen Popminiaturen, die eine gewisse Nähe zum Chanson nicht verhehlen. Sind diese Referenzen wichtig, der Bezug auf unterschiedliche Traditionen populärer Musik? Sicher. Er habe nach Projekten gesucht, deren Eigenständigkeit sofort spürbar ist, sagt Barfly. Und da falle auf, wie die Musik der 90er Jahre fast immer auch eine Bestandsaufnahme ist. Spannend wird es, wenn man die ganzen Brüchigkeiten bemerkt, die das so mit sich bringt.

Etwa bei Barbara Morgenstern, deren LoFi-Zugang vielleicht am ehesten Musik aus dem Wohnzimmer ist. Morgensterns zurückhaltende, gleichwohl eindringliche Stimme bahnt sich ihren Weg durch das minimalistische Elektrogestrüpp aus schleifenden Akkorden und schleppenden Beats. Überhaupt: Elektronik. Texte über alte Themen wie Liebe, Sehnsucht und Melancholie werden mit sehr zeitgemäßen Formen durch den musikalischen Wolf gedreht. Das sei so schön nichtssagend vielsagend, lacht Barfly. „Wir gehen vierzig Jahre zurück und mixen es dann mit der Gegenwart.“ Der kleinste gemeinsame Nenner ist genau das: Wie singt man heute von der Liebe? Geht Pathos ohne Lächerlichkeit? Und so weiter. Gleiches gilt auch für „Jansen“, die am Sonntag das Programm beschließen. Das Projekt des Ex-M. Walking on the Water-Sängers gleichen Namens, ist eher rock-orientiert. Dabei aber weniger prätentiös als „Element of Crime“, an die sie manchmal erinnern.

„Hörzu“ will Interesse wecken dafür, dass derzeit eine Menge passiert in Popland. Wer sich der Losung, die für das Wochenende ausgegeben wurde, hingeben mag, wird bemerken, wie gut Spaß und Uneindeutigkeit zusammengehen. „Jansen“ bringen es auf den Punkt. „Weiter weiter, stehen bleiben kannst du nicht“, heißt es an einer Stelle. „Weiter, sonst verlierst du dein Gesicht.“ Hör'n mer mal.

Tim Schomacker

„Hörzu“ besteht aus: Annette Berr am Freitag, den 12., Barbara Morgenstern am Samstag, den 13. und „Jansen“ am Sonntag, den 14. November. Jeweils um 20 Uhr im Jungen Theater, Friesennstraße 16-19. Vorher und nachher gibt es einen DJ-Mix zwischen Latin und Drum'n'Bass.