: Bremen stoibert teuflisch in die Krise
■ Länderfinanzausgleich: Nach dem Urteil aus Karlsruhe wird in Bremen nach der positiven Quintessenz des Spruchs gefahndet / Erste kritische Stimmen gehen im Freudentaumel unter
Im Rathaus herrschte gestern Morgen um halb elf Uhr gespannte Stille – in diesen Minuten wurde der Richterspruch zum Länderfinanzausgleich life in das Pressezentrum übertragen, das wegen der Tagung aller Ministerpräsidenten in Bremen eingerichtet worden war. Die Bremische Karnevalsgesellschaft „Nordlichter“ probte derweil auf dem Marktplatz in Sichtweite der sechzehn Ministerpräsidenten schon einmal den Beginn der Fastnachtszeit.
Kurze Zeit später, nachdem das Urteil zum bestehenden Länderfinanzausgleich aus Karlsruhe bekannt wurde, hätte den Hanseaten eigentlich nicht mehr zum Feiern zumute sein sollen. Doch draußen flogen die Fastnachtsbeine, und drinnen begannen die Rechtfertigungen.
Als „bestmögliche Variante“ bezeichnete etwa Henning Scherfs Pressesprecher Klaus Schlösser den Ausgang des Urteils. Henning Scherf erklärte, mit dem Urteil sei die Klage der Bundesländer Bayern, Hessen und Baden-Württemberg abgewiesen worden. Denn die Kläger hätten am liebsten sofort einen Schlussstrich unter die bisherigen Regelungen gezogen gesehen, indem das Bundesverfassungsgericht erklärt, der Finanzausgleich sei verfassungswidrig. Auch Bremens Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) erklärte, „der Angriff der klagenden Länder auf den Föderalismus und den Solidarpakt“ sei nun „gescheitert“.
In den karnevalesken Jubilierchor fielen auch Vertreter der beiden großen Parteien in der Bürgerschaft ein. SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen atmete auf: „Das Bundesverfassungsgericht hat Prüfaufträge erteilt, aber die bestehenden Regelungen nicht kassiert“. Bremen müsse jetzt alles daran setzen, in den Verhandlungen eine „faire und gerechte Finanzausstattung zu erhalten“. Auch CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff berichtet von Emotionen der „Freude und Erleichterung“. Nun habe man Planungssicherheit bis zum Jahr 2003. Auch die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Helga Ziegert sagte in ihrer Eigenschaft als DGB-Chefin, das Urteil dürfe „nicht als Anlass zur Klage, sondern als Aufforderung zur Aktivität gesehen werden“.
Einzig die Grünen spuckten in die Suppe und behielten Bodenhaftung. „Kein Grund zum Jubeln“ sah Fraktionssprecher Helmut Zachau. Die „harten Verhandlungen“, die jetzt auf die Stadtstaaten zurollten, seien „eine bedrohliche Situation für alle Stadtstaaten.“ Mit dem Ausgang der nun beginnenden Gespräche „steht und fällt die Selbständigkeit Bremens als Bundesland“. Er forderte dazu auf, die Bürgerschaft in die Verhandlungen mit einzubeziehen. Tatsächlich, das räumte auch Henning Scherf ein, verlange das Gericht „vielfältige Überprüfungen und Konkretisierungen des bisherigen Finanzausgleichssystems“. Und das kann für Bremen teuer werden. Denn nun steht bis zum 31. Dezember 2002 so ziemlich alles auf dem Prüfstand, wovon Bremen bisher profitierte.
Als wichtigster Punkt dürfte dabei für Bremen die Neuregelung des horizontalen Finanzausgleichs gelten. Jeder Bremer zählt im Länderfinanzausgleich 135 Prozent – das wurde bisher mit der Mehrbelastungen von Stadtstaaten begründet. Das Urteil sagt nun, dass diese Einwohnergewichtung begründet werden muss. Überprüft und begründet werden soll auch, ob für Häfen wie Bremen oder Hamburg tatsächlich höhere Kosten entstehen, die Geldansprüche wie bisher rechtfertigen.
Weiterer Punkt: Die Reihenfolge der Finanzkraft der Länder darf nicht ins Gegenteil verkehrt werden, indem die sogenannten „Bundesergänzungszuweisungen“ gezahlt werden. Bremen hatte immer argumentiert, dies sei ohnehin nicht der Fall, weil in dem Vergleich viele Faktoren nicht berücksichtigt würden. Doch das Gericht folgte der Argumentation der Geberländer.
„Es wird nie wieder so werden wie es war“, sagt der frühere Bürgermeister Klaus Wedemeier, in dessen Amtszeit der Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht von 1992 fiel. Damals hatte Bremen seine Mehrbelastung in Zahlen erfolgreich belegt. Offenbar habe das Bundesverfassungsgericht den Eindruck, dass sich „an der Haushaltsnotlage nicht viel geändert“ habe und sagen wollen: „Das geht nicht so weiter.“ Bedrohlich sei, so Wedemeier, nicht nur, dass die Bundesrichter die bisherige Begründung für den Ausgleich der „Hafenlasten“ und der „Kosten der politischen Führung“ für unzureichend halten. Ein „Knackpunkt“ sei, dass die Voraussetzungen für Bundesergänzungszuweisungen nicht unabhängig von dem Länderfinanzausgleich, sondern erst nach dem Länderfinanzausgleich geprüft werden sollen: „Das sieht nicht gut aus.“ Bei der „Einwohnerwertung“ haben die Richter in das Urteil geschrieben, die höheren Kosten dünn besiedelter Gebiete müssten berücksichtigt werden – „das klingt nicht nach Erhöhung“. Bremen sei in einer „schwierigeren Situation“ als nach dem Urteil von 1992, aber „man hätte Schlimmeres erwarten können“. Insgesamt will auch Wedemeier daher nicht schwarz sehen: „Der Kampf geht weiter.“ cd/K.W.
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