„Danach haben sie nur ans Geld gedacht“

■ Das Neue Museum Weserburg besitzt jetzt ein Archiv für Kleingedrucktes. Es hat durchaus Weltniveau. Mit 750.000 Mark hat sich der Bremer Senat am Ankauf beteiligt

Bremens SenatorInnen mussten neulich Geld zusammenkratzen. 750.000 Mark sollten her, damit das Neue Museum Weserburg eine Sammlung mit Künstlerbüchern, Einladungskarten und anderem vermeintlichen Nippes kaufen konnte. So verfügten es jedenfalls noch vor der Bürgerschaftswahl die beiden Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und Hartmut Perschau (CDU). Und prompt stand mal wieder die Frage im Raum, ob sich Bremen so etwas leisten kann. Jetzt, also fast ein halbes Jahr später, ist die Sammlung da. Und morgen kann sich, wer will, selbst ein Bild vom Wert und Nutzen dieses Ankaufs machen.

Rückblende. Die 60er Jahre. Belgien. Da lebten Anne und Guy Schraenen. Die beiden konnten einfach nichts wegschmeißen. Während andere Leute aus der Kunstszene all' die Einladungen, hektographierten Pamphlete, Katalögchen und Büchlein irgendwann einmal entsorgten, landeten diese Ephemera – also Blüten und Pflänzchen des Kunstbetriebs – bei ihnen im Schrank. Und in noch einem Schrank. Und in noch einem. Und die Schraenens gaben ihnen den Namen „Archive for Small Press & Communication“. 35.000 Stücke und Stückchen sind im Lauf der Jahre zusammengekommen. Junge KünstlerInnen wie Hanne Darboven, Daniel Buren, Boltanski, Ilja Kabakov, Roman Opalka haben sie einst gemacht und sind inzwischen längst älter und bekannt geworden.

Für Guy Schraenen, der seit zehn Jahren als Gastkurator in der Weserburg arbeitet und manchmal drastisch ist im Urteil, repräsentiert die Sammlung eine Epoche der Kunstgeschichte: Die 60er und 70er Jahre, in denen es um die Demokratisierung der Kunst ging. 1980 war seiner Ansicht nach plötzlich Schluss: „Da haben die Künstler wieder gemalt und nur noch ans Geld gedacht.“ Er hat sich fortan nur noch für die ,alten Demokraten' interessiert.

1,5 Millionen Mark bekommt er jetzt in mehreren Raten für die Sammlung. Die Hälfte zahlt Bremen. Den Rest muss Weserburg-Chef Thomas Deecke bei Stiftungen und Unternehmen auftreiben. Schraenen hätte viel mehr dafür bekommen können. „Ich wollte die Sammlung aber unbedingt zusammenhalten“, sagt er.

Andere SammlerInnen haben mit dem Verkauf von Einzelstücken wohl ziemlich viel Geld verdient und ihre Schätze quasi in kleine Stücke geschlagen. Auch deshalb gilt Schraenens Archiv als ziemlich einzigartig. Weil das in Bremen so bleiben soll, hat der Sammler vier andere Angebote ausgeschlagen. Warum hat er das Archiv überhaupt verkauft? „Ich bin jetzt fast 60 und will noch ein paar Jahre im Hintergrund für die Sammlung arbeiten.“

Das Archiv für das Kleingedruckte soll jetzt ein Studienzentrum werden, das mehrere Uni-Fachbereiche und -Institute fortan nutzen wollen. StudentInnen und PromovendInnen aus ganz Europa werden erwartet. Und es wäre ja nicht schlecht, wenn auf diese Weise etwas mehr Leben in die Bude kommt. Doch wie jede Investition zieht auch dieser Ankauf Folgekosten nach sich. Es ist nur nach dem System Schraenen sortiert: „Ich finde jedes Stück innerhalb von fünf Minuten.“ Für die Nachwelt ist ein anderes System und viel Arbeit und somit Personal nötig. Dazu kann Bürgermeister Scherf morgen bei der Eröffnung bestimmt etwas sagen. ck

Eröffnung „Archiv for Small Press & Communication“ am Sonntag, 14. November, um 13.30 Uhr im Neuen Museum Weserburg, Teerhof 20